ANGELA
Jeder glaubt, ein Held zu sein.
Wir träumen von diesen glorreichen Momenten, wie wir sie aus Büchern und Filmen kennen.
Einen Hund aus einem brennenden Gebäude retten? Natürlich. Einem Freund eine Niere spenden? Kein Problem. Sich vor einen bewaffneten Angreifer werfen? Sicher.
Aber die bittere Wahrheit ist, dass wir alle nicht wissen, wie wir in einem solchen Moment reagieren würden. Nicht bevor uns eine geladene Waffe an den Kopf gehalten wird und man das kalte Metall des Laufs auf der Haut spürt.
Bist du dann mutig genug? Stellst du dich vor die geladene Waffe und sagst: „Nimm mich. Erschieße mich. Töte mich.”
Wenn es so weit ist, wie wirst du dich entscheiden?
Dein Leben oder das der anderen?
Voller Sorge drückte ich die Hand meines Dads. Es war furchtbar, ihn so zu sehen. Er lag bewusstlos in einem Krankenbett und aus seinen Armen und seiner Brust traten Schläuche. Ein Monitor neben ihm piepte und sein Gesicht lag unter einer Sauerstoffmaske.
Tränen liefen mir über das Gesicht und es kam mir vor, als würde ich sie zum tausendsten Mal wegwischen.
Er war immer für mich da gewesen. Der Anker, der unsere Familie zusammengehalten hatte. Ein Fels in der Brandung.
Mein älterer Bruder Lucas tauchte in der Tür auf. Ich stand auf und umarmte ihn.
„Was hat der Arzt gesagt?”, fragte ich.
Lucas sah über meine Schulter zu unserem Dad. „Lass uns lieber draußen reden.”
Ich nickte, ging zu Dad und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, bevor ich Lucas aus dem Zimmer auf den Flur folgte.
Im Neonlicht des Krankenhausflurs sah ich mir meinen Bruder genauer an. Sein Haar war zerzaust, sein Gesicht nicht rasiert und er hatte tiefe Augenringe. Auch er hatte einen harten Tag hinter sich.
„Hör zu, Angie …” Er nahm meine Hand, wie er es früher immer getan hatte, als ich noch klein gewesen war und Angst vor der Dunkelheit gehabt hatte. „Du musst jetzt ganz stark sein, okay? Die Neuigkeiten … Es sieht nicht gut aus.”
Ich nickte und holte tief Luft, um mich zu wappnen.
„Dad …”, fing Lucas an, hielt dann aber inne. Er sah kurz zur Decke hoch und räusperte sich. „Er hatte einen Schlaganfall.”
Wieder stiegen mir die Tränen in die Augen.
„Man weiß noch nicht genau, wie schwer es ihn getroffen hat, aber sie glauben, dass sein ALS etwas damit zu tun haben könnte.“
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich verzweifelt.
„Wir ruhen uns ein bisschen aus“, sagte Danny, mein anderer Bruder, der gerade den Krankenhausflur betreten hatte. Er kam zu mir und umarmte mich. „Die Ärzte machen noch weitere Tests.“
Meine beiden Brüder sahen einander an und ich wusste, sie verheimlichten mir etwas.
„Was?”, wollte ich wissen. „Was ist los?“
Lucas schüttelte den Kopf.
„Du hast doch morgen ein Vorstellungsgespräch?“, fragte er. „Geh nach Hause und schlaf ein bisschen. Wir melden uns, wenn es Neuigkeiten gibt, in Ordnung?“
Ich seufzte. Eigentlich wollte ich hierbleiben, aber ich wusste, meine Brüder hatten recht. Dieser Job war wichtig für mich.
Wir verabschiedeten uns und ich ging raus in die kalte Nacht. In der Ferne sah ich die Lichter von New York City und mir wurde noch banger.
Ich fühlte mich hilflos.
Kann ich denn wirklich gar nichts tun?
XAVIER
Das Girl neben mir quietschte auf, als ich das Lenkrad herumriss und den Wagen in eine Haarnadelkurve lenkte. Sie lachte, aufgedreht von all dem Speed und den Unmengen an Champagner.
„Xavier!“ Sie biss sich neckisch auf die Unterlippe und streichelte meinen Oberschenkel. Zwei Dinge machen eine Frau mit Sicherheit geil.
Schnelle Autos und tonnenweise Geld.
Ich ließ den Motor meines Lamborghini aufheulen und schoss die pittoresken Straßen Monacos entlang. Die heiße Blondine neben mir bebte vor Erregung und streichelte die Wölbung in meiner Hose. Sie war ein Model für eine Fashion Show hier in Monaco.
Wir hatten schon ein paarmal gefickt.
Aber ich hatte keine Ahnung, wie sie hieß.
Ich grinste, als sie meine Hose öffnete und stöhnte vor Lust, als sie meinen harten Schwanz in den Mund nahm.
So lässt es sich leben.
Unterwegs auf den Straßen Monacos am Steuer eines Rennwagens und mit dem Schwanz im Mund eines Supermodels.
Keine Verantwortung gegenüber einem Unternehmen.
Kein Vater, der mir Vorschriften machte.
Keine betrügerischen Miststücke, die mich hintergingen und dann –
Ich donnerte über eine rote Ampel und sofort hörte ich die Sirenen einer Polizeistreife hinter mir. Ich fuhr an den Fahrbahnrand und hielt an.
„Verflucht“, murmelte ich.
Die Blondine sah auf, aber ich drückte sie wieder runter auf meinen Schwanz.
„Habe ich gesagt, du kannst aufhören?“
Das Model machte sichtlich bemüht weiter.
Der Polizist stieg aus seinem Wagen und kam auf mich zu.
Tja, dachte ich und sah auf den Kopf, der sich auf meinem Schoß hoch und runter bewegte. Das wird eine gute Geschichte.
BRAD
Mit einem genervten Seufzer bat ich meinen Assistenten zu mir ins Büro. Zum dritten Mal innerhalb eines Monats hatte Xavier für Schlagzeilen gesorgt. Und nicht damit, dass er freundlich in Kameras lächelte oder in Suppenküchen aushalf.
Nein.
Mein Sohn war in Monaco wegen rücksichtslosem Fahren und Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet worden.
Ich schloss die Augen und legte mir die Finger an die Schläfen.
Es klopfte an der Tür.
„Herein“, rief ich, ohne aufzusehen. Ron, mein sechsundzwanzig Jahre alter Assistent, betrat den Raum. „Haben Sie die Nachrichten gesehen?“
Ron wollte darauf antworten, musste aber nichts sagen. Ich bezweifelte, dass es in ganz New York irgendjemanden gab, der es noch nicht wusste. Die Schlagzeilen waren nicht zu übersehen.
„Rufen Sie die Anwälte an und holen Sie mir bitte Frankie von der PR-Abteilung her.“
Ron nickte und eilte aus meinem Arbeitszimmer.
Ich trat an die Fensterfront, die die gesamte Nordseite meines Büros ausmachte, und sah hinab auf die Straßen New Yorks so weit unter mir.
Ich musste mir etwas einfallen lassen, wenn ich vermeiden wollte, dass die Verfehlungen meines Sohns negative Auswirkungen auf mein Unternehmen oder seine Zukunft haben würden. Ich hatte zwei Babys: Xavier und Knight Enterprises.
Ich hatte mich aus dem Ölkonzern meiner Eltern zurückgezogen und die weltbeste Hotelkette von Grund auf selbst hochgezogen. Meine beiden größten Erfolge waren mein Sohn und mein Unternehmen.
Nun waren beide in Gefahr.
Wieder einmal.
Ich seufzte und musste an meine wundervolle Frau denken.
Ach, Amelia. Ich wünschte, du wärst noch bei mir. Du wüsstest, wie wir Xavier helfen können.
Mein Blick driftete von den Straßen hinüber zum Central Park. Meine geliebte Frau und ich waren oft dort spazieren gewesen und hatten auf einer Parkbank unter dem Bäumen gemeinsam Mittag gegessen.
„Ron!“, rief ich. Ich hörte, wie er seinen Bürostuhl drehte. „Sagen Sie alle meine Termine ab, ich gehe spazieren.“
ANGELA
Ich lief durch den Central Park und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Ich war nach Feierabend auf dem Heimweg von Ems Blumenladen.
Die langen Zweige der Trauerweiden wogten in der kühlen Spätsommerbrise. Schwäne glitten über die glänzende Oberfläche einer der Teiche. Das Lachen spielender Kinder schallte durch die Luft und verliebte Pärchen räkelten sich im Gras.
Ich hielt einen Strauß Lilien im Arm und ließ mich von ihrem Duft ein wenig trösten. Der Gedanke an meinen kranken Vater ließ mir keine Ruhe, aber ich musste mich zusammenreißen.
Mir fiel ein älterer Herr auf, der alleine auf einer Parkbank saß, die Augen wie zum Gebet geschlossen. Ich weiß nicht, was mich zu ihm hinzog, aber im nächsten Augenblick stand ich neben ihm. Er wirkte so traurig.
So niedergeschmettert.
„Verzeihung?“, sprach ich ihn an.
Er öffnete die Augen und blinzelte mich verwirrt an.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er mich.
„Ich wollte mich nur erkundigen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist“, sagte ich. „Sie wirken ein wenig … niedergeschlagen.“
Er rutschte zur Seite und deutete auf eine gravierte Plakette auf der Lehne der Parkbank. „Ich denke nur an eine geliebte Person“, sagte er mit belegter Stimme.
Ich las die Inschrift.
Für Amelia.Geliebte Ehefrau und liebevolle Mutter.16.10.1962 – 04.04.2011
Mir brach das Herz.
Ich reichte ihm den Blumenstrauß und lächelte ihn an.
„Für Amelia“, sagte ich.
„Danke sehr.“ Er nahm die Blumen mit zittriger Hand entgegen. „Darf ich fragen, wie Sie heißen?“
„Angela Carson“, antwortete ich.
BRAD
Ich sah Angela nach und auf einmal wusste ich, was ich zu tun hatte.
Danke dir, Liebes. Wieder einmal hast du mir die Lösung gebracht.
Ich griff in meine Jackentasche und holte mein Telefon hervor.
„Ron, finden Sie so viel wie möglich über eine gewisse Angela Carson heraus.“ Ich betrachtete den Blumenstrauß, den sie mir geschenkt hatte. Auf dem Papier stand der Name des Blumenladens.
EMS BLUMENLADEN
Ich nickte mir selbst zu und mein Plan verfestigte sich.
„Und holen Sie meinen Sohn zurück nach New York.“
ANGELA DANNYAngie. Komm schnellDANNYEs ist was mit DadANGELAwas ist passiert?DANNYEr hatte einen Herzinfarkt
„Wir haben Ihren Vater wiederbeleben müssen“, erklärte der Arzt. „Schlaganfallpatienten sind innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden besonders anfällig für einen Herzinfarkt. Wir halten ihn unter Beobachtung und machen weitere Tests, um zu sehen, wie wir ihm helfen können.“ Er klang nicht besonders zuversichtlich.
„Vielen Dank“, sagte Lucas.
Der Arzt nickte und ging.
„Wie lange wird Dad hierbleiben müssen?“, fragte ich niedergeschlagen. „Es macht nicht den Eindruck, als könnte er bald nach Hause.“
„Wir haben möglicherweise keine andere Wahl“, sagte Danny düster.
„Was soll das heißen?“, fragte ich.
Meine Brüder sahen einander an. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Dann rückte Lucas endlich mit der Sprache raus.
„Wir können es uns nicht leisten, ihn hierzubehalten, Angie.“
Ich blinzelte. „Was?“
Danny fuhr sich mit der Hand durch die Haare und sah ratlos aus. „Wir sind pleite.“
„Aber warum? Das Restaurant …“ Das Restaurant war schon immer das Ein und Alles meines Vaters gewesen. Auch Mom hatte dort gearbeitet, bis sie krank geworden war. Meine Brüder hatten es direkt nach dem College übernommen.
„Es macht schon seit ein paar Jahren kaum noch Umsatz. Die Rezession hat uns schwer zu schaffen gemacht. Und Dad musste eine zweite Hypothek aufnehmen, damit wir über die Runden kommen.“ Lucas seufzte. Er sah niedergeschmettert aus.
„Warum habt ihr mir nichts davon gesagt?“, fragte ich. „Mein Vorstellungsgespräch ist bald, dann kann ich vielleicht …“
„Die Krankenhausrechnungen sind vorher fällig …“
Ich ertrug es nicht länger – den Flur, das Krankenhaus. All das war zu beengend. Ich ließ meine Brüder stehen und mich von meinen zittrigen Beinen durch die Korridore und die Treppen runter tragen. Dann stand ich draußen vor dem Krankenhaus.
Es war mitten in der Nacht, daher sah niemand, wie ich auf dem Gehweg in die Knie ging. Zumindest dachte ich das …
„Verzeihung?“, sagte eine dunkle Stimme neben mir.
Schniefend sah ich zu dem Mann auf, der auf mich zukam. „Ja, kann ich Ihnen helfen?“, murmelte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
Der Mann kniete sich neben mich und vollkommen überrascht stellte ich fest, dass ich ihn kannte.
Es war der Mann, den ich vorhin im Central Park gesehen hatte. Dem ich meinen Strauß Lilien geschenkt hatte.
“Entschuldigen Sie mein aufdringliches Verhalten. Mein Name ist Brad Knight.“
Ich schnappte nach Luft. Brad Knight?
Der Brad Knight?
Der milliardenschwere Inhaber von Knight Enterprises?
„Äh“, stotterte ich.
„Ich weiß von Ihrer Situation, Angela, und ich kann Ihnen helfen. Ich kann Ihnen bei den Krankenhausrechnungen Ihres Vaters behilflich sein.“
Mein Kopf drehte sich und alle Alarmglocken schrillten auf.
Woher weiß er das alles? Was will er von mir?
„Ich werde für alles aufkommen. Ich werde sicherstellen, dass Ihr Vater die beste Versorgung erhält. Sie müssen im Gegenzug nur eine Sache für mich tun.“
Er klang aufrichtig, aber ich nahm auch einen Hauch von Verzweiflung in seiner Stimme wahr. Er räusperte sich und sah mir direkt in die Augen.
„Heiraten Sie meinen Sohn.“
ANGELA
Emily betrachtete mich besorgt, während ich im Schlafanzug und mit ungekämmten Haaren über einen Becher Ben & Jerry’s Eis herfiel.
„Alles okay bei dir?“, fragte sie mich.
„Super“, antwortete ich, den Mund voller Schokoeis.
Sie seufzte und holte sich ihren eigenen Eisbecher aus dem Gefrierschrank. Sie setzte sich neben mich und löffelte Vanilleeis in sich hinein.
„Erzähl schon“, forderte sie mich auf.
„Es ist nur alles gerade zu viel“, gab ich zu. „Mein Dad ist im Krankenhaus und ich weiß nicht, wie wir die Rechnungen bezahlen sollen. Außerdem habe ich Angst, dass ich mein Vorstellungsgespräch bei Curixon vergeigt habe und …” Meine Stimme zitterte.
Und ein gewisser Milliardär hat mir letzte Nacht ein unfassbares Angebot gemacht.
Aber das konnte ich Emily nicht erzählen.
Wie auch?
„Du hast es sicher nicht vergeigt“, versicherte mir Em. „Du hast es doch gerockt, oder? Das hast du selber gesagt.“
„Das habe ich gedacht“, sagte ich. „Jetzt bin ich mir da aber nicht mehr so sicher.“
Das stimmte. Das Gespräch war super gelaufen. Curixon war ein großartiges Unternehmen und ich hatte die Hoffnung, dass mein Ingenieurdiplom aus Harvard endlich zum Einsatz kam. Die letzten Monate hatte ich halbtags bei Em im Blumenladen ausgeholfen.
Sie hatte mich sogar bei sich einziehen lassen.
Ohne sie wäre ich also vollkommen verloren gewesen.
„Du bist meine Heldin, Em“, fing ich an. „Ohne dich wäre ich vermutlich obdachlos und …“
„Jetzt hör aber auf“, unterbrach sie mich. „Du kannst so lange hierbleiben, wie du willst. Ich will nur nicht, dass du dein Leben damit vergeudest, bei mir im Laden den Boden zu wischen, wenn du in einer Firma wie Curixon arbeiten könntest. Auch wenn du reizende Fans hast, die nach dir fragen. Du bist dafür einfach zu schlau, Angie.“
Mein Herz blieb mir fast stehen.
Em hatte Brad offensichtlich nicht erkannt. Gott sei Dank.
„Na ja, ich muss jetzt los.“ Em stand auf und warf ihren Löffel in die Spüle und den leeren Eisbecher in den Müll. „Sitz hier nicht nur den ganzen Tag rum.“ Sie schlüpfte in ihre Schuhe und war schon aus der Tür.
Ich war alleine.
Ich musste an letzte Nacht denken. Ich war mir nicht sicher, ob ich das alles nur geträumt hatte. Aber als ich durch die Kontaktliste meines Handys ging, war sein Name immer noch da.
Brad Knight.
Ich kroch zurück in mein Bett und rollte mich zu einem Ball zusammen. Ich schloss die Augen und ließ die letzte Nacht noch einmal Revue passieren …
„Wie bitte?“ Ich rappelte mich auf und ging auf Abstand zu Brad. „Soll das ein Witz sein?“
Er beobachtete mich und schüttelte über sich selbst verärgert den Kopf.
„Es tut mir leid“, sagte er. „Ich habe mich nicht richtig ausgedrückt. Bitte lassen Sie mich erklären.“
Ich sah mich um. Der Eingang des Krankenhauses war nicht weit weg. Wenn es sein musste, konnte ich mich dorthin flüchten.
Außerdem hatte er etwas Vertrauenserweckendes an sich. Er machte einen so aufrichtigen und freundlichen Eindruck. Vielleicht lag das an seinem Alter?
Vorsichtig nickte ich zustimmend.
„Nachdem Sie heute Nachmittag so freundlich zu mir waren, wollte ich mich bei Ihnen revanchieren. Deshalb bin ich zu Emilys Blumenladen gegangen. Denn da kommen die Blumen her, die Sie mir geschenkt haben.“
„Ja, aber …“
„Es steht auf dem Verpackungspapier. Ich habe mit Emily gesprochen. Reizende junge Frau. Und ich habe mich nach Ihnen erkundigt, Ms. Angela Carson. Sie hat gemeint, sie kenne Sie gut. Und dass Sie wegen der Erkrankung Ihres Vaters im Krankenhaus in New Jersey seien.“
Immer noch verblüfft nickte ich wieder.
„Verzeihen Sie daher bitte die Frage, aber Ihre Familie hat nicht die nötigen Mittel, um seinen Krankenhausaufenthalt, seine Behandlung und Pflege so angenehm wie möglich zu gestalten, oder?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Dabei kann ich Ihnen behilflich sein, Angela. Wir können einander helfen.“ Er lächelte und seine Augen waren umgeben von unendlich vielen kleinen Lachfältchen.
„Sie wollen, dass ich Ihren Sohn heirate“, wiederholte ich seine Worte. Sie fühlten sich wie ein Fremdkörper in meinem Mund an.
Brad nickte.
Ich überlegte, was ich über seinen Sohn wusste.
Xavier Knight.
Natürlich kannte ich ihn. Wer kannte ihn nicht? Er war ein Promi. Unverschämt reich und zum Niederknien gutaussehend.
Jede Frau wäre auf der Stelle bereit, ihn zu heiraten.
Aber er hatte wohl eine rebellische Ader. Immer wieder hatte ich in den letzten Monaten Schlagzeilen und Artikel über ihn gesehen.
Sex.
Drogen.
Autorennen.
Er war wild.
Gefährlich.
Mir lief ein Schauer über den Rücken, aber ich wusste nicht, ob es die Angst oder die Aufregung war.
„Aber warum ich?“, wollte ich wissen. „Ich bin mir sicher, dass es hunderte von Frauen gibt, die schöner und erfolgreicher sind als ich. Die besser zu Ihrem Sohn passen.“
„Sie haben eine reine Seele, meine Liebe. Sie wissen es vielleicht nicht, aber etwas wie Sie gibt es nur selten. Ich will das Beste für meinen Sohn, so wie jeder Vater. Ich glaube, Sie können ihm helfen. Ich vertraue meinem Bauchgefühl und das sagt mir, dass es funktionieren wird.“
Ich blinzelte.
Eine reine Seele? Was soll das denn heißen?
„Aber eine Ehe ist doch nicht nur ein Stück Papier“, entgegnete ich. „Man kann nicht einfach einen Vertrag unterschreiben und sich verlieben.“
“Das ist wahr, aber Liebe ist geduldig.“
„Woher wollen Sie wissen, dass ich Ihren Sohn heirate und mich nicht am nächsten Tag wieder scheiden lasse?“, versuchte ich ihn zu provozieren, denn ich brauchte Antworten auf diesen hypothetischen Irrsinn.
Anstatt gereizt zu reagieren, trat er näher an mich heran und nahm meine Hand. „Ich glaube nicht, dass Sie das tun würden, Angela. Wie ich schon sagte, Sie haben eine reine Seele. Aber wenn Sie eine Art Versicherung brauchen, sollten Sie hinter sich sehen.“
Ich drehte mich um und sah das Krankenhaus, das von den Straßenlaternen beleuchtet wurde. „Krankenhausrechnungen sind kein Spaß. Behandlungen, Reha, Rund-um-die-Uhr-Versorgung. Das alles kostet Geld, Liebes. Wenn Sie sich an Ihren Teil der Vereinbarung halten, dann schwöre ich bei meinem Leben, dass ich meinen auch einhalte.“
Ich dachte fieberhaft nach. Es musste eine andere Lösung geben.
„Ich bin morgen in der zweiten Bewerbungsrunde. Vielleicht kann ich …
„Angela“, unterbrach er mich. „Wissen Sie, wie viel ein Aufenthalt über Nacht in einem Krankenhaus kostet? Siebenhundert Dollar pro Nacht. Eine routinemäßige Blutuntersuchung kostet zweihundertfünfzig Dollar. Wenn Sie, Gott bewahre, den Defibrillator benutzen müssen, kostet das weitere fünfzehnhundert Dollar.“
Ich schloss die Augen.
“Bitte hören Sie auf. Geben Sie mir eine Minute, um darüber nachzudenken.“ Ich versuchte Ordnung in meine Gedanken zu bekommen.
Mein Dad.
Das Restaurant.
Meine Brüder.
Über Jahre verschuldet.
Eine neue Arbeit.
Curixon zahlte gut. Falls ich die Stelle bekäme, könnte ich das Geld langsam zurückzahlen.
Emily würde mich noch länger bei ihr wohnen lassen, wenn das bedeutete, dass ich das Leben meines Dads retten könnte.
Ich konnte doch keinen Mann heiraten, den ich nicht liebte, geschweige denn noch nie getroffen hatte?
„Warum wollen Sie mir überhaupt helfen?“, fragte ich.
„Als Sie mich gestern angesprochen haben“, fing er an, „wurde mein Gebet erhört. Sie haben mir Kraft gegeben. Nun bin ich hier, um Ihre Gebete zu erhören. Ich will Ihnen Kraft geben.“
Ich dachte darüber nach. Mein Herz raste wie verrückt.
Denke ich ernsthaft über sein Angebot nach?
„Angela?“, fragte Brad zärtlich.
„Kann ich wenigstens eine Weile darüber nachdenken?“, fragte ich. „Das ist alles sehr viel auf einmal.“
„Natürlich“, sagte er.
Brad reichte mir eine Visitenkarte. Sie war aus hauchdünnem, leichtem Metall.
Papier war einem Milliardär anscheinend zu proletenhaft.
„Rufen Sie mich an, wenn Sie eine Entscheidung getroffen haben.“ Er lächelte mich an. „Ich glaube wirklich, dass das eine wunderbare Lösung ist, Angela. Wirklich.“ Dann ging er.
Das Klingeln meines Telefons riss mich aus meinem Tagtraum. Ich kletterte aus dem Bett und sah auf mein Handy.
CURIXON
Sofort war ich hellwach und schrecklich aufgeregt.
Okay, okay, okay, okay.
Ich holte tief Luft.
„Hallo?“ Ich nahm ab und versuchte, das Zittern in meiner Stimme in den Griff zu bekommen.
„Hallo! Spreche ich mit Angela Carson?“, fragte eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung.
„Am Apparat.“
„Hi, Angela. Ich rufe an, um Ihnen leider mitzuteilen, dass wir uns für einen anderen Kandidaten entschieden haben.“
„Oh.“ Mir rutschte das Herz in die Hose.
„Wir werden Ihre Unterlagen aber aufbewahren und uns gegebenenfalls wieder bei Ihnen melden.“
„Äh, ja, okay.“
Was hätte ich sonst sagen sollen.
Nach ein paar weiteren qualvollen Sekunden konnte ich endlich auflegen und mich zurück in die Kissen fallen lassen.
Das Gespräch hatte ich offensichtlich nicht gerockt …
Mir stiegen Tränen der Wut in die Augen und ich ließ sie auf das Kopfkissen tropfen. Es ging um so viel mehr als nur darum, meinen allgemeinen Unterhalt zu verdienen.
Das Leben meines Vaters stand auf dem Spiel.
Ich griff nach meinem Telefon und ging durch die Kontakte.
Sekundenlang starrte ich einfach nur seine Nummer an.
Ich habe einfach keine andere Wahl.
Ich drückte auf den Anrufknopf und besiegelte damit mein Schicksal.
„Hallo?“ Brad nahm den Anruf an.
„Hi, Mr. Knight. Hier ist Angela.“
„Angela!“ Er begrüßte mich herzlich. „Ich freue mich so sehr, von Ihnen zu hören. Kann ich also davon ausgehen, dass …?“ Er ließ den letzten Teil der Frage unausgesprochen.
Ich atmete tief durch. Es fühlte sich an als würde ich erdrückt werden unter dem Gewicht der Worte, die ich bereit war auszusprechen.
„Ja“, sagte ich, „ich tue es.“
Etwas in mir brach, als ich es aussprach.
„Ich werde Ihren Sohn heiraten.“
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