Sapir Englard
CLAIRE
Versuch's noch mal, Claire. Konzentriere dich auf die Wölfin. Bring sie nach vorne.
Mein Gesicht verzog sich vor Konzentration.
Ich saß im Schneidersitz auf Chloes Bett, starrte auf meine Hände und wollte, dass sie sich zu Krallen verlängerten.
~Stell dir vor, du bist der Wolf. Du rennst durch den Wald. Stark. Mächtig.
Ich fühlte mich weder stark noch mächtig. Ich fühlte mich eher genervt.
Wir waren schon seit Stunden dabei aber ich war immer noch nicht in der Lage, auch nur eine Wimper zu verändern.
Warum sollte ich auch? Ich war ein Mensch. Und Chloes Wolf war irgendwie gefangen in dem verworrenen Netz unserer Gedanken.
~Wir können stattdessen über Zack reden, wenn du willst, neckte sie.
~Das ist das Letzte, was ich will.
Diese Stunden des Übens waren das Einzige, was mich davor bewahrte, von den Ereignissen der letzten Nacht überwältigt zu werden.
Trotz meiner Bemühungen kamen die Erinnerungen wieder an die Oberfläche.
Zacks Hand auf meiner Taille, während er tanzte.
Wie er mir ins Ohr flüsterte, dass ich seine Gefährtin sei.
Der Blumenstrauß, der vor meinen Augen verwelkte.
Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die Bilder zu verdrängen aber sie waren in mein Gehirn eingebrannt.
Okay. Denk an den Wolf.
Ich stellte mir Chloes Wolf vor. Ich stellte mir vor, wie meine Gliedmaßen wuchsen und sich zu Pfoten ausdehnten. Meine Zähne verlängerten sich und wurden zu Reißzähnen.
Ich war geschmeidig und gefährlich.
Ich war der geborene Jäger mit urwüchsigen Trieben.
Ich war...
Eine völlig normal aussehende Frau, die auf einem Bett in Texas sitzt.
~"Das ist sinnlos, dachte ich zu Chloe.
~Hey! Negativ zu sein ist mein Job! Du solltest die Optimistin sein.
Ich fühle mich im Moment nicht sehr optimistisch.
~Du machst dir zu viele Gedanken. Wölfe können sich schon im Alter von zwei Jahren verwandeln.
Ich bin nicht. Ein verdammter. Werwolf!
~Aber du bist. In einem. Werwolfs Körper!
~Wenn's so verdammt einfach ist, warum machst du's nicht?
~Wow. Du bist ganz schön verstimmt. Chloe klang verblüfft.
...
Tut mir leid.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich Chloe angeschnauzt hatte aber es war schwer, ständig jemanden zu haben, der sich einmischte.
Nicht, dass ich es ihr wirklich verübeln könnte, dass sie gereizt ist. Ich konnte meine eigenen Gedanken nicht in eine vernünftige Richtung lenken..
Diese Fassade aufrechtzuerhalten war wie ein Ertrinken im Treibsand.
Wenn Chloe recht hatte und Zachary Greyson mein Gefährte war, nicht ihrer, wie sollte ich dann weiter so tun, als wäre ich sie?
Bei dem Gedanken wurde mir ganz übel. Ganz zu schweigen davon, dass Zack, wenn er mich ansah, gar nicht mich sah.
Er sah Chloes makellose Figur und gebräunte Haut, nicht Claire Hills mattes braunes Haar und pummelige Oberschenkel.
Zack hat an dem Tag im Café durch mich hindurchgesehen.
Paarbindung hin oder her – würde er nicht enttäuscht sein, wenn er herausfindet, dass ich nicht das bin, was – oder wer – ich zu sein scheine?
Dass ich ein Schwindler war?
Ein Hochstapler?
~Ding-dong.
Das ferne Klingeln der Türklingel unterbrach meine Gedanken.
ZACK
Ich musste sie sehen.
Ich ging den Flur des Texas Rudel Haus hinunter, in Richtung des Parkplatzes und des Lexus, den ich immer benutzte, wenn ich in der Stadt unterwegs war.
Meine Augen fühlten sich schwer an. Ich hatte die ganze Nacht kaum geschlafen.
Jedes Mal, wenn ich einschlief, sah ich ihr Gesicht, roch dieses berauschende Parfüm.
Chloe Danes.
Meine Gefährtin.
Warum war ich ihr nicht schon früher begegnet? Ich war jetzt seit mehr als einem Jahr in Houston, um beunruhigenden Gerüchten über eine "Traditionalisten" Bewegung nachzugehen.
Ich hätte mich an sie erinnert, so viel ist sicher.
Ich riss die Hintertür auf und blieb wie angewurzelt stehen.
Ich bin ein Idiot.
Der Lexus, den ich mir geliehen hatte, gehörte Eugene Harris, dem Alpha des Texas Rudels und dem Mann, dessen Paarungszeremonie ich gestern Abend beigewohnt hatte.
Er und Maxine waren heute Morgen in ihre Flitterwochen gefahren. Und offensichtlich hatten sie das Auto mitgenommen.
Ich stöhnte auf und zückte mein Handy, um nach einem Uber in der Gegend zu suchen.
In diesem Moment fuhr ein riesiger, knallroter Dodge Ram auf den Parkplatz.
Ich schaute auf und lächelte. Ich kannte diesen Wagen und den Mann, der ihn fuhr.
"Was gibt's, Miles?", rief ich, als ein athletischer blonder Mann aus dem Fahrerhaus des Trucks sprang.
"Greyson! Schön, dich zu sehen, Mann. Du bist immer noch hier?", sagte Miles und schüttelte mir die Hand.
Miles war der leitende Anwerber für die Houston Howlers, eines der erfolgreichsten Football Teams im ganzen Bundesstaat.
Er verbrachte sein halbes Leben damit, von Uni zur anderen zu reisen, um potenzielle Spieler anzuwerben.
Wir hatten uns im Laufe der Jahre ein paar Mal getroffen und trotz seines gelegentlich bissigen Humors mochte ich den Kerl.
Außerdem... hatte er einen Truck. Und ich musste quer durch die Stadt.
Zu Chloe.
"Ja, ich habe versucht, diese rechtsextremen Spinner aufzuspüren", sagte ich, "aber es erweist sich als schwieriger, als ich dachte."
"Wo warst du gestern?", fragte ich. "Du hast die Paarungszeremonie verpasst!"
Miles zuckte mit den Schultern. "Frühjahrstraining in Dallas. Ich habe einen vielversprechenden neuen Quarterback gefunden. Der Junge hat einen Arm wie ein Tornado."
Ich nickte interessiert, obwohl mich Football nicht im Geringsten interessierte. "Hey Miles, kannst du mir einen Gefallen tun?"
Miles zog die Augenbrauen hoch.
***
Dieser Truck könnte einen Panzer platt machen.
Meine Handflächen waren glitschig, als ich das Lenkrad von Miles' Pickup auf den Highway lenkte.
Ich war umgeben von übergroßen Lastwagen, die meist von ebenso übergroßen Männern gefahren wurden, als ich der Wegbeschreibung zum Haus von Jefferson und Norma Danes folgte.
Und ihrer Tochter Chloe.
Mein Mund wurde trocken bei dem Gedanken.
Ich krallte meine Hände fester um das Lenkrad und warf einen Blick auf den Blumenstrauß auf dem Beifahrersitz.
Chloe Danes.
Ich hatte ihren Duft wahrgenommen, als ich bei Eugenes Empfang anfing, Klavier zu spielen.
Ein Kribbeln schoss mir so plötzlich den Rücken hinauf, dass ich das Lied, das ich spielte, fast aus den Augen verlor.
Es hatte sich angefühlt wie ein Sturz vom Surfbrett bei hohem Wellengang.
Versinken. Plötzlich ertrank ich in ihrem Duft.
Nur war es statt aufsteigender Panik eine Welle sofortigen, unaufhaltsamen Verlangens gewesen.
Wer bist du?, dachte ich immer und immer wieder.
Ich war schon Dutzende Male mit Raphael im Texas Rudel gewesen, hatte an unzähligen Zeremonien und Veranstaltungen teilgenommen.
Das war einer der Gründe, warum Eugene und ich so gute Freunde geworden waren.
Aber dieses köstliche Parfüm hatte ich noch nie wahrgenommen.
Danach folgte ich dem Duft in die Bar, wo eine atemberaubend schöne Frau saß und an einem Drink rührte.
Meine Gefährtin.
Als sie eingewilligt hatte, mit mir zu tanzen, konnte ich es kaum aushalten, sie nicht zu berühren, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sie auf der Tanzfläche zu mir zu nehmen.
Aber als wir uns zur Musik wiegten, meine Nase in ihrem Haar vergraben, bemerkte ich etwas Ungewöhnliches an ihrem Duft.
Aus der Nähe roch der Duft... verschwommen. Es gab keine andere Möglichkeit, es zu beschreiben und ich hatte es in der vergangenen schlaflosen Nacht aufgegeben.
Ich musste sie finden. Mit ihr reden.
Das war es.
Ich lenkte den riesigen Truck durch das offene Tor, das zur Einfahrt einer strahlend weißen Villa führte.
Was für ein Mensch lebte hinter diesen weißen Steinmauern?
War meine Gefährtin nett? War sie loyal? Klug? Lustig?
Würde sie diese opulente Pracht verlassen und ihr Leben ständig in Bewegung verbringen wollen, Raphaels Launen ausgeliefert?
Das war das Problem mit den Paarungsbindungen der Werwölfe – ich fand mich nun für immer mit Herz und Seele an eine Frau gebunden, die mir völlig fremd war.
Sie wird für immer eine Fremde bleiben, es sei denn, du bewegst deinen feigen Arsch aus diesem Wagen und klingelst an der Tür.
Die Autotür schwang mit einem Quietschen auf.
Ich fuhr mir mit der Hand über den glatt rasierten Kopf und versuchte, die Nervosität zu beruhigen, die mir unter die Haut fuhr.
Ich ging auf die Tür von Chloes Haus zu und läutete.
CLAIRE
Ding-dong!
Es klingelte wieder, aber ich ignorierte es.
Alle anderen waren schon aus dem Haus. Wahrscheinlich war es nur ein Lieferjunge.
An einem Sonntag?
Ding-dong!
Ich stöhnte, als ich aufstand und in den Flur ging.
Meine Beine waren steif vom Sitzen im Schneidersitz. Ich schwang die Tür auf.
Ich löste mich fast in eine Pfütze auf, als ich Zachary Greyson vor meiner Tür stehen sah.
Er trug Jeans und eine schwarze Lederjacke. In seinen Händen hielt er einen Strauß Gänseblümchen.
Sein leicht verlegenes Lächeln brachte mein Herz zum Pochen.
"Tut mir leid, ich hätte anrufen sollen, aber...", er brach ab und sah mich mit diesen klaren grünen Augen an.
Eine peinliche Stille entstand zwischen uns.
Mein ganzer Körper sehnte sich danach, ihm näher zu sein.
"Die sind für dich", sagte Zack und streckte mir nervös den Blumenstrauß entgegen.
Ich streckte die Hand aus, um sie zu nehmen, dann zog ich sie zurück und erinnerte mich an die Rosenblüten, die bei meiner Berührung gestorben waren.
Was, wenn es wieder passierte? Was, wenn er es sah?
"Danke. Komm rein, ich hole eine Vase", sagte ich stattdessen und öffnete die Tür, um ihn hereinzulassen.
Gott sei Dank war keiner von Chloes Familienmitgliedern zu Hause. Zack und ich würden etwas Privatsphäre haben.
Dieser Gedanke ließ meine Knochen vor Lust erbeben aber eine unterschwellige Stimme sagte mir, dass ich vorsichtig sein sollte.
Ich war allein in einem Haus mit einem vollblütigen Werwolf, der glaubte, dass ich seine Gefährtin war.
Ich erinnerte mich an den unersättlichen sexuellen Appetit, der mit den tierischen Instinkten eines Wolfes einherging.
Und nach dem Ziehen in meinen Brüsten zu urteilen, war ich mir nicht sicher, wie lange ich mich beherrschen konnte.
Ich hatte das Gefühl, wenn er auch nur die Spitze meines kleinen Fingers berührte, würde ich auf der Stelle zerbrechen.
Chloe? Bist du da? Rief ich ihr in Gedanken zu.
Was soll ich tun?
Ich fühle mich...
Wahnsinnig geil und als wolltest du ihn bespringen? Ich merkte an ihrer Stimme, dass sie sich bemühte, nicht zu lachen.
Um es milde auszudrücken.
Das wären die Werwolf Instinkte. Warte nur, bis der Dunst aufzieht!
Hilf mir! Was soll ich nur tun?
Oh, ich werde mich da nicht einmischen.
Betrachte die Vorhänge als zugezogen, Mädchen. Ich werde nicht spionieren, fuhr sie fort.
Was redest du da, das ist DEIN Körper! Ich habe sie praktisch angeschrien.
Verdammt, das ist so verdreht, erwiderte sie.
Können wir ihm bitte einfach die Wahrheit sagen? Fragte ich.
Wenn du ihm die Wahrheit sagst, wird er denken, dass du verrückt bist, sagte sie.
Ich musste zugeben, dass sie Recht hatte.
Zack und ich kannten uns seit etwa fünf Minuten und in diesen fünf Minuten hatten wir erfahren, dass wir für den Rest unseres Lebens unwiderruflich miteinander verbunden waren.
Es wäre vielleicht besser, diese Offenbarung einen Moment wirken zu lassen, bevor ich die "Ich bin ein wiederauferstandener Mensch, der im falschen Körper gefangen ist" Bombe bei ihm platzen lasse.
Zack folgte mir in die Küche, immer noch mit dem Blumenstrauß in der Hand.
Was hätte ich ihm sagen sollen?
In meinem Leben als Claire Hill hatte ich genau einen ernsthaften Freund gehabt und jetzt sollte ich dauerhaft an diesen Mann gebunden sein?
Das war eine Menge zu verkraften.
Vor allem, weil ich kaum einen vernünftigen Gedanken fassen konnte, während eine Welle nach der anderen von pulsierendem Verlangen über mich hereinbrach.
Ich suchte nach einer Vase und versuchte verzweifelt, irgendetwas zu sagen.
Ich konnte seine Anwesenheit hinter mir spüren. Ich wünschte, ich hätte mehr als ein dünnes blaues Tanktop an.
Schließlich fanden meine suchenden Finger eine Kristallvase.
Dankbar, etwas mit meinen Händen zu tun zu haben, begann ich, das Gefäß mit Wasser aus dem Waschbecken zu füllen.
Zack trat hinter mir auf. Als ich mich zu ihm umdrehte, waren wir nur Zentimeter voneinander entfernt.
Ich erstarrte, mein Herz pochte wie wild.
Ich muss ihm die Wahrheit sagen, Chloe.
Sag es ihm noch nicht! Er wird schreiend die Flucht ergreifen. Ich würde es tun.
Ich weiß nicht, wie lange ich das aushalte. Dieser Werwolfdrang ist stark.
Ich kann damit nicht umgehen. Es ist zu seltsam, antwortete sie.
Ich sag dir was - was auch passiert, lass die Klamotten an, okay? Fuhr sie fort.
Was?!
Aber Chloe reagierte nicht. Stattdessen hatte ich das Gefühl, als ob sie eine mentale Mauer errichtet hätte, die unsere unterbewusste Verbindung blockierte.
Alles, was noch übrig war, waren meine eigenen chaotischen Gedanken – und Zachary Greyson.
Die Selbstbeherrschung, die ich bis dahin aufrechterhalten hatte, zerfiel zu Staub, als ich die brennende Hitze in seinen Augen sah.
Ich kannte diesen Mann kaum. Ich kannte nicht einmal seinen zweiten Vornamen oder seine Lieblingsfarbe.
Aber ich verstand, irgendwo tief in mir, dass die Verbindung zwischen uns echt war.
Zack trat näher und alle Härchen auf meinen Armen stellten sich auf.
Er stellte die Blumen auf dem Küchentisch ab. "Du musst mir verzeihen. Ich scheine nicht die richtigen Worte zu finden", sagte er.
"Die richtigen Worte für was?" Ich hauchte, meine Haut kribbelte.
"Ich kann nicht glauben, dass ich meinen Gefährten gefunden habe", fuhr er mit heiserer Stimme fort.
"Und was passiert jetzt?", fragte ich.
Zack schaute mich neugierig an.
Natürlich, ich sollte ein Werwolf sein. Chloe Danes würde genau wissen, was als Nächstes passieren sollte.
Er hob eine Hand und fuhr mit ihr über die Wölbung meines Kiefers.
"Normalerweise würde ich dich jetzt markieren", sagte er und fuhr mit seiner Hand über die Haut an meinem Hals.
Meine Augen flatterten zu.
Seine andere Hand kam an meiner Taille zur Ruhe. "Damit jeder andere Mann weiß, dass du mir gehörst."
"Willst du... mich markieren?" Ich schaffte es zu keuchen, als sich das Feuer in meinem Inneren entzündete.
"Willst du, dass ich dich markiere?", antwortete er neckisch und beugte sich näher vor, bis seine Lippen nur noch die Haut meines Halses streiften.
Meine Augen flogen auf.
Wollte ich, dass Zack mich markiert?