Unter der Wellen meines Herzens - Buchumschlag

Unter der Wellen meines Herzens

Tiffanyluvss

Man sieht sich, Mädchen mit den grünen Augen

“All the good girls go to hell. ‘Cause even God herself has enemies. And once the water starts to rise and heaven’s out of sight, she’ll want the devil on her team.” – ~Billie Eilish.~

Titellied des Kapitels: "all the good girls go to hell" von Billie Eilish.

HARMONY

Der Tag bricht frisch und hell an, während die Sonne durch das offene Fenster scheint und den Raum mit ihrem sanften Orangeton überzieht.

Müde öffne ich meine Augen und schaue zur Uhr, die auf dem Holztisch neben mir steht.

7:05 Uhr.

Mein Unterricht beginnt um acht und ich möchte nicht zu spät zu meiner ersten Vorlesung kommen. Obwohl meine Augen schwer sind und ich mich fühle, als wäre ich tausend Kilometer gerannt, muss ich die Kraft aufbringen, aufzustehen.

Ich wusste doch, dass es eine schlechte Idee war, gestern Abend zu dieser Orientierungsparty zu gehen. Niemand möchte das Semester mit einer solchen Lethargie beginnen.

In der Highschool konnte ich dem Gruppenzwang widerstehen, deshalb weiß ich nicht, warum ich mich von meiner Mitbewohnerin dazu überreden ließ, gestern Abend zu dieser Veranstaltung zu gehen.

Es war keine Orientierungsveranstaltung – jedenfalls nicht die Art, die ich gewohnt bin – und das Einzige, was ich davon hatte, war ein seltsamer Junge, der mich anstarrte, als hätte ich einen Popel in der Nase.

Sich vor einem Haufen kreischender Mädchen auszuziehen, hat nichts mit dem Lehrplan von Homewood zu tun. Außerdem wird es mir kaum helfen, meinen Abschluss zu machen. Was für eine merkwürdige Uni.

Eine Hand, die sich im oberen Bett heraushängt, verrät mir, dass April noch schläft.

Ich war froh, den oberen Teil des Etagenbetts zu bekommen, aber nachdem ich gestern Abend zurückgekommen war und eine riesige Spinne über dem Kopfteil schweben sah, habe ich beschlossen, dass das bisschen Quietschen wohl doch besser ist als Insekten.

Ich greife nach meinem Seesack, der neben mir auf dem Boden liegt, und beginne, nach etwas zu suchen, das ich zum Unterricht anziehen kann. Ich entscheide mich für einen beigen Rock und ein weißes, langärmeliges Oberteil.

Dann stehe ich von meinem Bett auf und ziehe eine Grimasse, als ich die kalten Fliesen unter meinen Füßen spüre, während ich mich ins Badezimmer zwinge. Der Raum ist klein und besteht aus einer Dusche, einer Toilette, einem Waschbecken und einem weißen Holzschrank.

Ich lege mein ausgewähltes Outfit auf einen kleinen Tisch in der Ecke, bevor ich mich schnell ausziehe.

Dann putze ich mir die Zähne und steige unter die Dusche, öffne den Wasserhahn und seufze, als das kühle Wasser an meinem Körper herunterläuft.

Frühmorgens zu duschen ist das Beste. Es macht den Geist wieder munter und bietet einen kurzen Moment der Ruhe, bevor ein langer Tag beginnt. Heute werde ich diese Energie mehr denn je brauchen.

Auf der Uni ist es nicht mehr wie auf der Highschool, und ich weiß, dass es mich einige Mühe kosten wird, mich an den Lehrplan und die neue Umgebung zu gewöhnen.

Für jemanden wie mich ist das besonders schwierig, wenn man allein schon bei neuen Gesichtern eine Gänsehaut bekommt. Veränderungen mag ich überhaupt nicht.

Nach einem langen Moment der Selbstreflexion drehe ich schließlich das Wasser ab und steige aus der Dusche. Ich trockne mich ab und ziehe mich an, bevor ich mit meiner alten Kleidung in der Hand das Bad verlasse.

April ist endlich aufgestanden und macht ihr Bett, und ich lächle, während ich meine Sachen weglege.

"Guten Morgen."

Sie dreht den Kopf herum und betrachtet meine Kleidung. Unbehagen erfüllt mich, als sie mich von Kopf bis Fuß mustert.

"Guten Morgen. Trägst du das zur Vorlesung?"

Verwirrt runzle ich die Augenbrauen, während ich meine Kleidung begutachte. "Ähm ... ja. Warum?"

Natürlich ist an meiner Kleiderwahl nichts auszusetzen. Ich kleide mich eher konservativ; meine Beine und mein Dekolleté sind immer bedeckt. Ich finde, dass es immer am besten ist, die Dinge der Fantasie der Leute zu überlassen.

"Nichts ..." Sie schürzt ihre Lippen. "Überhaupt nichts."

"Sehe ich komisch aus?"

"Nein, nein. Du siehst nur ... anders aus ... als die Leute hier."

Ich neige verwirrt den Kopf, und sie lächelt. "Das ist nichts Schlimmes. Du kleidest dich bescheiden, das ist alles."

Ich lächle. "Dankeschön. Ähm, soll ich auf dich warten?"

Sie schüttelt den Kopf, klettert von ihrem Bett herunter und stemmt eine Hand in die Hüfte. "Nein, wir haben sowieso nicht die gleichen Kurse und ich will nicht, dass du dich verspätest. Wir sehen uns später."

Gott sei Dank. Es sieht nicht so aus, als wäre sie bald fertig, und ich bin sowieso schon spät dran.

"Sicher?", frage ich aus reiner Höflichkeit, aber insgeheim hoffe ich, dass sie bei ihrer Antwort bleibt.

"Ja, sicher. Wir sehen uns später."

"Okay, tschüss." Ich lächle, während ich meinen Rucksack vom Boden aufhebe, und winke ihr unbeholfen zu, bevor ich mich abwende und den Raum verlasse.

***

Der Kurs ist bisher quälend langweilig. Ich bin mir nicht sicher, was ich mir von der Uni erwartet habe, aber es ist wirklich nicht so toll.

Die Leute reden es einem schön – vielleicht hatte ich deshalb so hohe Erwartungen. Oder es kommt daher, dass ich mich weigere, ein wenig lockerer zu werden.

Ich studiere Anglistik und habe eine große Liebe für Literatur, Musik und Kunst. Ich wünschte, ich könnte alles gleichzeitig ausprobieren, aber ich weiß, dass ich mich im Moment für eines entscheiden muss.

Meine Mutter meint, dass man nicht unbedingt einen Abschluss in Kunst oder Musik braucht. Sie glaubt, dass diese Talente nicht erlernt werden müssen, sondern etwas sind, das von Natur aus kommt.

Ich sitze im Englischkurs und schreibe fleißig die Notizen ab, die Mr. Jones an die Tafel kritzelt. Irgendwann höre ich, wie die Tür zum Hörsaal geöffnet wird, und die Hälfte der Klasse dreht ihre Köpfe in diese Richtung.

Meine Augen weiten sich unwillkürlich, als ich Blaze Xander erblicke.

Er besucht dieses Seminar?

Ich bekomme fast ein Schleudertrauma, als ich schnell nach vorne blicke. Meine Schrift wird krakelig vor Angst, als ich mich an die unzähligen Warnungen erinnere, die mir die Mädchen gestern Abend gegeben haben.

Halt dich von ihm fern.

Lass ihn nicht in deine Nähe.

Er ist herzlos.

Du wirst es bereuen.

"Hallo."

Ich schaue auf und sehe, wie er einen Stuhl vom großen Tisch neben mir herauszieht. Er kracht laut auf den Boden, was den Dozenten dazu veranlasst, sich verärgert umzusehen.

Blaze scheint sich nicht um den tadelnden Blick des Professors zu kümmern, denn er setzt sich mit einem breiten Grinsen neben mich. "Wie schön, dich hier zu sehen."

Sein anziehender Duft von gestern Abend dominiert den klimatisierten Raum, und tagsüber sieht er sogar noch besser aus.

Heute trägt er ein grünes, langärmeliges Hemd, das perfekt auf seine Figur zugeschnitten ist, und eine schwarze, eng anliegende Jeans. Um seinen Hals hängt eine kleine Silberkette, und beide Ohren sind mit kleinen Ohrringen geschmückt.

Sein dunkles Haar ist an den Seiten zerzaust, oben kringeln sich dicke, schwarze Locken, und seine Lippen sind so rot, dass ich überzeugt bin, dass er Lipgloss trägt.

Ich weiß nicht, was ich auf seine Begrüßung antworten soll, und konzentriere mich wieder auf mein Notizbuch, um weiterzuschreiben.

Er runzelt die Stirn. "Ein Hey wäre ganz nett."

Ich kaue stumm auf der Innenseite meiner Wange, und er holt sein Buch aus der Tasche, bevor er wieder spricht. "Wie alt bist du?"

Ist das sein Ernst?

Ich sehe ihn an. Ich möchte ihn fragen, warum er diese Frage gestellt hat, aber ich halte es für das Beste, nichts zu erwidern. Irgendwann wird er merken, dass dieses Gespräch einseitig ist und aufhören zu reden. Hoffentlich.

"Du siehst aus wie sechzehn", fährt er fort. "Oder fünfzehn."

Ich sehe viel jünger aus als ich bin, was ich verabscheue.

Wenn man klein und zierlich ist, nehmen die Leute dies als Einladung, einen ungebeten anzufassen. Das ist mir in der Highschool schon ein paar Mal passiert, und ich werde nicht zulassen, dass sich diese Vorfälle im College wiederholen.

"Ich bin achtzehn", stelle ich klar.

Habe ich ihm wirklich geantwortet?

Wow, Harmony, wenn du einmal wirklich still sein solltest, ergreifst du das Wort. Wie ironisch.

Er grinst breit und tut dann so, als wäre er erschrocken. Seine blauen Augen tanzen vor Belustigung. "Oha, und sie spricht."

Seine Grübchen sind wieder da, und aus irgendeinem seltsamen Grund färben sich meine Wangen rosa. Ich wende meinen Blick wieder dem Notizbuch zu und umklammere meinen Stift fester. Er verursacht wirklich ein komisches Gefühl in mir.

"Deine Stimme ist sexy", kommentiert er.

Mein Körper versteift sich, während sich eine Hitze in meinem Gesicht ausbreitet. Dieses Wort hat noch nie jemand benutzt, um mich zu beschreiben. Sexy ist einfach ein unpassendes Adjektiv für jemanden wie mich. Klein, zierlich, ruhig, zurückhaltend – aber sexy? Es ist merkwürdig.

Ich sehe zu ihm auf, aber er konzentriert sich auf sein Notizbuch, das er gerade aufschlägt.

Dabei entdecke ich eine brillant gezeichnete Figur auf einer Seite. Als er gerade umblättern will, ergreife ich schnell und impulsiv seine Hand.

Er sieht mich mit großen Augen an, und ich ziehe mich sofort zurück, beschämt darüber, dass mich eine Zeichnung aus meinem Schneckenhaus geholt hat.

Wenn es um meine kreativen Interessen geht, neigt mein Gehirn dazu, ohne meine Zustimmung zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen. Manchmal ärgere ich mich selbst darüber, wie plötzlich und unbeholfen meine Handlungen sein können.

Blazes Lippenwinkel verziehen sich zu einem Lächeln. "Willst du es sehen?"

Ich nicke leicht und er schiebt das Notizbuch zu mir rüber.

Fasziniert starre ich auf das Bild. Es ist die japanische Anime-Figur Naruto. Ich erkenne die Zeichnung, aber die Hälfte seines Gesichts lächelt und die andere Hälfte wirkt irgendwie ... traurig?

Hat er das gezeichnet? Es ist so wunderschön kreativ. Jede Linie ist perfekt geformt, ohne eine Spur von Unentschlossenheit oder mangelndem Können, sogar die Farbsättigung ist sauber und gut definiert.

Von jemandem mit seinem sozialen Status und seiner Erscheinung würde ich dieses Talent nicht erwarten.

"Hast du das gemalt?", frage ich, und er nickt, während er seinen Stift gekonnt zwischen seinen Fingern herumwirbeln lässt.

"Ja, gefällt es dir?"

Ich lächle ein wenig. Ob mir das Bild gefällt? Ich liebe es. Ich starre die Zeichnung an und verliere mich in den Gefühlen, die sie hervorruft.

Es wirkt fröhlich und ist doch melancholisch, als ob es den inneren emotionalen Kampf der Figur darstellt. Es ist tiefgründig. Ich bin mir nicht sicher, warum, aber es gefällt mir sehr.

Er ist bemerkenswert talentiert. Genau wie ich. Vielleicht könnten wir Freunde werden?

“Halt dich von ihm fern.“

“Lass ihn nicht an dich heran.“

Oder vielleicht auch nicht.

Ich klappe das Notizbuch zu und schiebe es zu ihm rüber, beiße mir auf die Lippe, während ich meinen Blick wieder auf mein Notizbuch werfe.

Er lächelt. "Ich mache dir einen Vorschlag", beginnt er, und ich sehe ihn an. "Komm später in mein Zimmer und ich bringe dir bei, wie man das zeichnet. Wir könnten auch zusammen an ein paar Kunstwerken arbeiten."

Sein Zimmer?

Er sieht, dass sich meine Augen sofort verengen, und er kichert. "Es ist nicht so, wie du denkst. Sieh mal, Aprils Worte haben dich gestern Abend sicher abgeschreckt, aber so schlimm bin ich nicht."

Ich finde es seltsam, dass er von allen Orten auf dem Campus ausgerechnet sein Zimmer als den geeignetsten Ort gewählt hat.

Ich blinzle ihn stumm an, und er seufzt. Seltsamerweise spiegeln seine Augen nicht wider, wie beunruhigt er trotz seines Ausatmens ist. Er hat einen entfremdeten Blick, ein leeres Glitzern, das ich nicht ganz erklären kann.

Er legt seine Handflächen auf den Hinterkopf und lehnt sich bequem zurück. "Ich schätze, die Mädchen haben mein Image ruiniert."

Es ist nicht fair, wenn dir jemand vorschreibt, ob du dich mit jemandem abgeben sollst oder nicht, ohne dass du die Gelegenheit hast, ihn selbst kennenzulernen. Das weiß ich, aber ich finde es einfach nicht richtig, in einem Männerwohnheim zu bleiben.

Meine Mutter würde das nicht gutheißen, und mein Gewissen lässt es sowieso nicht zu, auch wenn ich nicht in ihrer Gegenwart bin. Gott sieht alles.

"Es ist nicht wegen April", rechtfertige ich mich. "Ich denke nur, dass es keine gute Idee ist, allein im Zimmer eines Mannes zu sein ..."

Endlich zeigen seine Augen eine Form von Emotion, ein Hauch von Erstaunen blitzt auf. Er nickt und lächelt gelassen. "Okay, zur Kenntnis genommen."

Ich kneife die Lippen zusammen und richte meinen Blick wieder auf die Tafel, während ich weiterschreibe.

Ich werfe ihm alle zehn Sekunden einen Seitenblick zu. Er kritzelt entweder Graffiti auf den glatten, makellosen Schreibtisch, fummelt an dem Ring an seinem Finger herum oder summt etwas vor sich hin – ohne sich Notizen zu machen.

Seine Seite bleibt leer, während ich schon bei meiner fünften Seite bin. Aber jeder Mensch ist anders. Vielleicht lernt er durch Zuhören.

Der Kurs ist endlich zu Ende und die Studenten erheben sich von ihren Plätzen, während ich mein Notizbuch in meine Tasche stecke.

"Man sieht sich, Mädchen mit den grünen Augen." Blaze grinst, während er sich seine Tasche schnappt und aus dem Hörsaal joggt.

Er scheint nicht enttäuscht zu sein, dass ich seine Bitte abgelehnt habe; er wirkt lässig und unbeeindruckt. Vielleicht hat er schon jemand anderen, mit dem er malen kann?

Nach der Art und Weise zu urteilen, wie ihn die Erstsemester gestern Abend angehimmelt haben, hat er wohl mehrere Auswahlmöglichkeiten. Ich bin mir sicher, dass die kleine Rothaarige die Gelegenheit beim Schopfe packen würde.

Ich schließe gerade den Reißverschluss meines Rucksacks, als Mr. Jones von seinem Pult zu mir aufschaut. "Ähm, entschuldigen Sie bitte, Miss ...?"

"Skye", erkläre ich. "Harmony Skye."

Er lächelt und winkt mich mit der Hand herüber. "Kommen Sie bitte kurz her."

Er rückt den Bund seiner weiten Hose zurecht, während ich meine Tasche nehme. Ich stehe auf und gehe zu ihm hinunter, während ich die Riemen meines Rucksacks zurechtrücke.

Er kratzt sich an der Nase und wirft einen Blick zur Tür, wahrscheinlich um zu sehen, ob er frei sprechen kann.

"Ich habe Sie heute neben Blaze Xander sitzen sehen", beginnt er, und ich ziehe aus Gewohnheit ängstlich meine Ärmel nach unten.

Bekomme ich Ärger, nur weil ich neben Blaze saß? Wir sind hier nicht im Kindergarten.

"Ähm, okay ...", murmle ich, als er nichts weiter sagt.

Er lacht und ich sehe die Falten in den Winkeln seiner haselnussbraunen Augen. Er muss wohl mittleren Alters sein, mit dichtem schwarzen Haar, das von weißen Strähnen durchzogen ist.

"Schauen Sie nicht so ängstlich, Skye. Ich denke nur, Sie sollten sich von Jungs wie ihm fernhalten."

Eine weitere Warnung. Jetzt bin ich verwirrt. Was ist so schlimm an ihm? Vorhin schien er nett zu sein. Er hat sogar meine Gründe respektiert, warum ich nicht auf seinen Vorschlag eingegangen bin. Warum malen sie dieses Bild, das ich nicht sehen kann?

"Darf ich fragen, warum?", frage ich, und er seufzt.

"Er hat keine guten Absichten. Seien Sie einfach vorsichtig mit ihm. Ich weiß, er ist gutaussehend und charmant, aber das ist seine Waffe. Sie studieren im ersten Semester, also wissen Sie wahrscheinlich nicht Bescheid über ihn."

Ich urteile nicht gerne, aber sie kennen Blaze schon viel länger als ich, also wäre es die klügste Entscheidung, ihrem Rat zu folgen.

Ich nicke. "Oh, okay ..."

Er lächelt und gestikuliert zur Tür, und ich drehe mich um und gehe weg.

BLAZE

"April!" Ich wimmere dramatisch und werfe meine Arme von hinten um ihren Hals, während sie in der Schlange steht, um ihr Essen abzuholen. "In der Kantine gibt es keine Burger mehr."

Sie verdreht die Augen und löst sich aus meiner Umarmung. "Du und deine Burger. Warum wirst du nicht einfach ein Burger und isst dich selbst?"

"Ich habe doch Mädchen, die das für mich tun." Ich lächle, dann wende ich meine Aufmerksamkeit der Dame hinter dem Tresen zu, die uns seit zwei Jahren das Mittagessen serviert.

Sie sieht aus wie dreißig, und ihr Haar ist immer von einem schwarzen Haarnetz verdeckt. Die große weiße Schürze verdeckt ihren Körper, aber ich kann erkennen, dass sie eine beachtliche Figur hat.

"Guten Morgen, Pat." Ich stütze meine Ellbogen auf den Tresen und ziehe die Augenbrauen hoch, während ich ihr ins Gesicht schaue.

Ihre Wangen werden merklich rosig, aber sie tut so, als wäre sie genervt und verdreht die Augen, während sie die Nudeln mit Käse umrührt. Ich mache das jedes Mal in der Mittagspause, und sie lässt sich nie anmerken, wie sehr sie es mag.

Aber das ist schon in Ordnung, ich durchschaue alles.

"Deine Schürze gefällt mir. Steht dir gut", füge ich hinzu und lächle über ihr offensichtliches Unbehagen.

Tia schüttelt amüsiert den Kopf. "Lass die Dame in Ruhe. Was in aller Welt ist los mit dir, Xander?"

"Er ist der Sohn des Teufels", fügt Yuna hinzu.

Pat konzentriert sich weiter auf ihren Job und ich klopfe mit den Fingern auf den Tisch, während ich meinen Blick auf sie richte. Sie senkt den Kopf, um meinem Blick auszuweichen.

"Ich komme morgen wieder, um nach dir zu sehen, in Ordnung?"

Sie errötet bei diesem Satz, und ich kichere leise, während ich herumwirble und mich gegen den Tresen lehne, als James sich zwischen mich und April schiebt und seinen Arm um sie legt.

"Dein Rock gefällt mir, April. Er steht dir gut."

James ist besessen davon, meine Anmachsprüche zu wiederholen. Offensichtlich habe ich diesen Spruch gerade bei Pat benutzt. Ich starre ihn an und tue so, als hätte ich Mitleid, während meine Cousine die Zähne zusammenbeißt und seinen Arm wegzieht.

"Nimm deine Hand weg, James."

"Hey, wo ist Harmony?", fragt Yuna, und ich beginne sofort, mich in der lauten Cafeteria umzuschauen.

Das Mädchen interessiert mich. Vor allem, weil sie viel zu unschuldig wirkt. Die Welt ist ein ausgeglichenes Ying-Yang, eine Mischung aus Gut und Böse.

Die Menschen haben eine Kombination aus beiden Aspekten in sich – außer mir, der nur eine Seite der Medaille in sich trägt -, deshalb kann ein Mensch niemals völlig unschuldig oder "gut" sein.

Das Leben war in den letzten Monaten verdammt langweilig, und dieses neue Mädchen hat diese Aura, mit der meine Dämonen unbedingt spielen wollen.

Ich bin fest entschlossen, ihre Hülle zu durchbrechen, das wird mir Spaß machen. Die Tatsache, dass ich keinen Funken Mitgefühl empfinde, macht die Sache noch viel verlockender.

"Ja, wo ist deine Freundin?", frage ich, und April dreht sich zu mir um und verschränkt die Arme vor der Brust. Das ist ihre Haltung, wenn sie mir einen Vortrag halten will, aber ihre Zurechtweisungen fließen normalerweise in das eine Ohr und aus dem anderen wieder heraus.

"Blaze, ich habe dich bereits gewarnt, halte dich von Harmony fern. Du weißt, dass es nicht gut ist, wenn du dich mit ihr abgibst."

Ich fahre mir mit einer Hand durch die Haare, die mir stur wieder in die Augen fallen. "Schau, ich will sie nur aufklären. Ihr zeigen, was passiert, wenn sie in Homewood herumläuft und aussieht wie die Jungfrau Maria."

James lacht. "Aber sie ist die Jungfrau Maria, wenn man bedenkt, wie konservativ sie sich kleidet."

Ich kichere, und April schüttelt den Kopf und nimmt ihr Tablett mit einem leisen "Danke" an Pat. Pats Blick fällt auf mich und ich zwinkere ihr subtil zu. Sie wendet den Blick ab und macht sich daran, die nächste Bestellung zu servieren, während April die Stirn runzelt.

"Ihr zwei – du und James – seid einfach zwei herzlose und abscheuliche Kreaturen. Ich will euch nicht in Harmonys Nähe sehen, Blaze. Sie ist nicht dein Typ, und ich kann dir versichern, dass du ganz sicher nicht ihrer bist."

"Blödsinn. Ich bin jedermanns Typ." Ich verkneife mir ein breites Grinsen, und sie verdreht erneut die Augen, bevor sie zu ihrem üblichen Tisch im hinteren Teil des Raums geht.

Yuna und Tia sind die nächsten, die ihr Essen abholen. Dann fällt mein Blick auf eine vertraute zierliche Gestalt, die den Speisesaal betritt.

Harmony.

Sie schaut sich skeptisch um, als ob sie einen Sitzplatz suchen würde, und ich bemerke ein eingepacktes Sandwich und eine kleine Milchpackung in ihrer Hand. Ich hatte keine Ahnung, dass Leute in unserem Alter noch aus diesen kleinen Saftboxen trinken.

Ich verkneife mir ein Lächeln und will auf sie zugehen, als Yuna mich am Arm festhält. "Lass sie in Ruhe."

Ich kichere. "Entspann dich, konzentrier dich auf dein Mittagessen." Ich befreie mich von ihr und sie verengt die Augen über meinen Ungehorsam, während ich selbstbewusst auf Harmony zuschlendere.

Sie alle wissen, dass ich ein sturer Hurensohn bin. Wenn jemand versucht, mich dazu zu bringen, das zu tun, was er sagt, antworte ich normalerweise mit einem "Ja", "Oh", "In Ordnung" und tue dann, was auch immer ich verdammt noch mal tun will.

Auf die Anweisungen anderer höre ich nicht.

Ich kann nicht verstehen, warum sie mich nicht einfach in Ruhe lassen; ich meine es nicht böse – meistens.

Sie sieht mich kommen, wendet sich ab und geht dann schnell aus der Cafeteria. Ich kichere darüber und folge ihr, während ich meine Hände in die Taschen stecke. "Hey, Harmony."

Sie hält beim Klang meiner Stimme inne und dreht sich dann langsam zu mir um. Wir stehen jetzt auf dem leeren Flur, während sie mich fragend anstarrt.

In ihren smaragdgrünen Augen ist ein Hauch von Angst zu erkennen, etwas, das mir schon gestern Abend aufgefallen ist. Ist sie nicht an Jungs gewöhnt?

Schließlich spricht sie, ihre Stimme klingt wundervoll sanft. "Brauchst du etwas?"

Ja. Dich.

Ihr Ton ist unnötig höflich. Ich bin nicht ihr Professor, warum redet sie so ... förmlich?~ Sie hat aber eine sexy Stimme.

Ich zucke mit den Schultern. "Du kannst mit uns essen."

Sie schüttelt den Kopf und lehnt mich zum zweiten Mal heute ab. "Ich esse lieber allein."

"Okay ..." Ich nicke und schlendere langsam auf sie zu. "Was machst du sonst noch so alleine?" Ich bleibe ziemlich nah bei ihr stehen, und sie tritt unmerklich zurück, um etwas Abstand zu schaffen.

Dabei drückt sie die kleine Milchschachtel in ihrer Hand und mein Blick fällt auf die ängstliche Bewegung. Ich bin mir nicht sicher, was ich an mir habe, das die Leute so sehr einschüchtert. Es fängt an, mich zu stören ... oder auch nicht.

"Schläfst du auch allein?"

Ihre Stirn legt sich fassungslos in Falten, während sie ihren Kopf leicht zur Seite neigt. Ein Zeichen der Unschuld und des Vergessens. Perfekt.~

Ich kichere. "Ich meinte, ob du einen Freund hast?"

Sie schaut verblüfft, antwortet aber: "Nein."

"Wunderbar." Ich lächle und schaue ihr direkt auf die Brüste. Sie windet sich unbehaglich, und ich zeige auf die offene Milchtüte in ihrer Hand.

"Darf ich mal probieren?"

Sie schaut auf die viereckige Schachtel, dann wieder zu mir und blinzelt ungläubig. Sie sieht verblüfft aus, dass ich so etwas fragen würde – aber ich bin verrückter als die meisten Menschen und putze meine Zähne, also ist es in Ordnung.

Ich hebe fragend eine störrische Braue, und sie schluckt, bevor sie geistesabwesend nickt.

Also greife ich nach der Schachtel in ihrer kleinen Hand und meine Finger streifen dabei ihre weiche Haut. Das war nicht beabsichtigt.

Ich halte ihren Blick, während ich meine Lippen um den Strohhalm schließe und Flüssigkeit in meinen Mund sauge.

Sie beobachtet mich nervös, und wenn ich richtig sehe, errötet sie.

Das war leicht.

Ich reiche ihr den Strohhalm zurück, und sie starrt ihn ruhig an und scheint tief in Gedanken versunken zu sein.

"Du hast mich gerade geküsst", erkläre ich, und ihr Blick schnellt alarmiert zu mir hoch.

"Hm?"

Ich versuche, nicht über ihren entsetzten Gesichtsausdruck zu lachen, als ich auf die Schachtel zeige. "Wir haben uns gerade indirekt geküsst; du hast aus dem Strohhalm getrunken, und ich auch. Wir haben uns also praktisch geküsst, nicht wahr?"

Ihre Wangen werden rot und ich lächle über den Erfolg. Bald werde ich sie um meinen Finger wickeln, oder meine Finger werden in ihr vergraben sein ... je nachdem, was zuerst kommt.

Wenn jemand errötet, ist das doch der Beweis dafür, dass er oder sie etwas für dich empfindet, nicht wahr? Nun, das habe ich zumindest gehört. Ich kenne mich nicht unbedingt mit dem Thema Gefühle aus.

Ich beschließe, es für heute dabei zu belassen, und lächle. "Danke für den Drink. Er hat mir geschmeckt. Man sieht sich, Mädchen mit den grünen Augen."

Ich wende mich ab und gehe zurück in die Cafeteria, während sie völlig erstarrt zurückbleibt.

"Der Löwe ist am schönsten, wenn er nach Nahrung sucht"-Rumi.
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