Fest im Griff - Buchumschlag

Fest im Griff

Elizabeth Gordon

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Chapter
15
Age Rating
18+

Summary

Als die vierzehnjährige Melinda Johnson wegen schrecklicher Halluzinationen von Schattenmenschen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird, gerät ihre einst heile Familie aus den Fugen, und die unter den Teppich gekehrten Probleme häufen sich. Hat das Karma die Johnsons endlich eingeholt? Oder sind die Schattenmenschen daran schuld?

Altersfreigabe: 18+

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Schattenmenschen

MELINDA

Als Melinda in der Nacht aufwachte, war es so spät, dass es früh war.

Das Flüstern hatte wieder angefangen; das war es, was sie geweckt hatte.

Obwohl sie nicht wusste, was die Flüsterer sagten, wusste sie, dass sie es ernst meinten.

Etwas Schlechtes ging hier vor sich.

Melinda hatte das Flüstern zum ersten Mal in der Schule gehört.

Sie ging an den ruhigsten Ort, den sie kannte: die Toilette neben dem Theater, wo sie manchmal ihr Mittagessen einnahm.

Selbst dort, an ihrem stillen Ort, konnte Melinda nicht verstehen, was das Flüstern sagte. Es war immer ein bisschen zu gedämpft, um es zu verstehen.

Die Stimmen klangen menschlich. So viel wusste sie. Aber ihre Töne waren auch scharf und hart, wie Fingernägel auf einer Kreidetafel.

Melinda hatte die Toilette verlassen.

Bald darauf begann sie, Dr. Mulligan aufzusuchen. Sie befolgte seinen Rat. Sie spielte laute Pop-Hits auf ihren Kopfhörern oder stellte sich neben die gesprächigsten Mädchen.

Sie versuchte so zu tun, als wäre das Geflüster nur weißes Rauschen.

Das klappte eine Zeit lang ganz gut, außer wenn das Flüstern mitten in der Nacht kam. Als sie allein in ihrem Zimmer war, wusste Melinda, dass das Geräusch alles andere als unbedeutend war.

Melinda öffnete ihre Augen. Von ihrem Himmelbett aus blickte sie auf das mondbeschienene Schlafzimmer.

Der zarte weiße Baldachin des Bettes kräuselte sich in der ersten Frühlingsbrise um sie herum. Der Spiegel auf ihrem Waschtisch reflektierte die sich bewegenden Blätter vor ihrem Fenster.

Das Zimmer war wunderschön. Es hätte in der Zeitschrift Better Homes and Gardens abgebildet sein können. Aber heute Abend schenkte seine Bewohnerin ihrer Umgebung keine Aufmerksamkeit.

Nur ... dem Geflüster.

Das Geräusch setzte sich fort und wurde so laut, dass Melinda ihr eigenes Herzklopfen und ihren rasenden Atem nicht mehr hören konnte.

Die Rosenknospen auf der Tapete bogen sich so schrecklich, dass sie wie Schlangen aussahen.

Melinda starrte in ihren leeren Kamin, als wäre er der Schlund der Hölle selbst.

Dann sah sie, wie sich die Schatten verschoben.

Es war, als ob ein Feuer aus Schatten in dem schlafenden Kamin zum Leben erwacht wäre.

Das Flüstern wurde noch lauter, und das kalte, dunkle Feuer wurde größer, bis es Schattenrauch ausstieß.

Melinda zog sich in ihre Federkissen zurück, aber der Rauch stieg weiter auf und wogte in ihrem Schlafzimmer herum. Die dunklen Wolken versperrten ihr die Sicht auf den Schminkspiegel ... und dann auf den gesamten Schminktisch.

Der Rauch verdunkelte sich mit jeder Sekunde. Es war nicht mehr nur eine Wolke, sondern mehrere, die alle näher auf Melinda zuschwebten.

Je näher sie kamen, desto dünner und größer wurden sie. Weniger wie Rauch und mehr wie...

...Gestalten.

Melinda blinzelte, und als sie die Augen öffnete, waren die fünf Gestalten, die sich ihr näherten, fast menschlich.

Ihre schattenhaften Silhouetten veränderten sich ständig, aber ihre Bewegungen waren unbestreitbar menschlich, während sie auf Melinda zuschwebten.

Alle zehn Schattenhände griffen nach der armen Melinda, die hilflos in ihrem Bett saß; ihr Flüstern nun ohrenbetäubend.

An den Stellen, an denen Finger hätten sein sollen, hatten die Schattenmenschen nur Rauchschwaden.

Kurz bevor sie sie berührten, schrie sie auf. Es war ein Schrei, der ihre ganze Familie aufwecken würde, aber das kümmerte Melinda nicht.

Sie war zu sehr um ihr eigenes Leben besorgt.

Als der Schrei durch die Luft ging, bedeckte Melinda ihre Augen mit ihren Fingernägeln und spürte eine warme Erleichterung zwischen ihren Beinen.

Mit einem Mal hörte das Flüstern auf. Melinda öffnete die Augen und stellte fest, dass die Schattenmenschen verschwunden waren.

"Puh!", rief sie.

Aber das Mädchen konnte die Ruhe kaum genießen, als die Tür ihres Schlafzimmers aufschwang und fünf echte Menschen hereinkamen.

"Liebling, was ist passiert?", verlangte Melindas Mutter, als sie auf das Bett zueilte.

"Du hast uns geweckt", brummte ihr älterer Bruder Jacob.

"Sind deine imaginären Freunde wieder hinter dir her?", fragte ihre Schwester Libby von der Tür aus.

Melindas Vater und ihre älteste Schwester Rosie schwiegen.

Melindas Wangen brannten in der Nacht.

"Es war nichts. Es tut mir leid", antwortete sie. "Ich habe nur schlecht geträumt."

Ihre Mutter drückte ihre Hand auf Melindas klamme Stirn.

Sie schniefte.

"Oh, Liebling!", sagte sie. "Was ist das für ein ... Geruch?"

Melindas Magen krampfte sich zusammen, als sie erkannte, was es war...

Dies war ein weiterer Alptraum. Und er war dabei, wahr zu werden.

"Hast du...?"

"Melinda hat ins Bett gemacht!", schrie ihr Bruder und zeigte auf den nassen Fleck auf dem Laken unter seiner Schwester. Er fing an zu lachen.

"Das ist so witzig!", kreischte Libby.

Melinda kniff die Augen zusammen.

Sie hatte sich vor ihrer ganzen Familie blamiert. Nicht nur einmal, sondern zweimal. Und das in nur wenigen Sekunden!

Warum war das Leben nur so schwer für sie?

"Oh je", jammerte ihre Mutter. "Geht alle wieder ins Bett!"

Der Rest der Familie ging zurück in ihre Zimmer.

Melinda spürte, wie ihre Mutter an ihrem Arm zog, aber sie wehrte sich.

"Ich kann mein Bettzeug wechseln, Mama", wimmerte Melinda.

Aber der Griff ihrer Mutter war so fest, dass Melinda keine andere Wahl hatte, als aus dem Bett zu steigen.

Gedemütigt stand sie in ihrem durchnässten Pyjama auf.

Sie riskierte einen Blick auf den Kamin, der leer war und eher harmlos aussah.

"Geh dich sauber machen", befahl ihre Mutter, während sie die Bettdecke vom Bett riss.

Melinda ging ins Bad und duschte schnell und heiß. Als sie zurückkam, war das Bett gemacht, ihre Mutter war weg, und sie war wieder allein in der Dunkelheit.

LIBBY

Libby lächelte ihre Schwester Melinda über ihre schwindende Schüssel Cornflakes hinweg an.

Libby wollte Melindas Aufmerksamkeit, und sie wusste, dass Melinda versuchte, sie ihr nicht zu geben.

"Habt alle einen tollen Tag in der Schule", verkündete Libbys Mutter von der Tür aus. "Und Melinda, wir haben morgen früh einen Termin bei Dr. Mulligan."

Ihre Absätze klapperten den Flur hinunter und zur Vordertür hinaus.

Libby drehte sich zu ihrem Bruder Jacob um. Sie tauschten einen Blick aus.

Ihr Vater faltete seine Zeitung am Kopfende des Tisches zusammen und goss seine Tasse Kaffee in eine Thermoskanne.

"Tschüss, Leute", rief er, als er zur Arbeit ging.

"Tschüss, Papa", antwortete Melinda und starrte in ihr Glas Milch.

"Schleimer", stichelte Jacob.

Rosie erschien in der Tür. Sie war die älteste Schwester und aß nie Frühstück.

"Können wir gehen?", fragte sie.

Auf dem Weg aus dem Haus holten die Johnsons ihre Handys aus der blauen Schüssel, in der sie sie immer aufbewahrten, wenn sie zu Hause waren - eine Regel ihrer Mutter.

Normalerweise kämpfte Libby um den Beifahrersitz, aber heute wollte sie hinten bei Melinda sitzen.

Rosie ließ das Verdeck des roten Mustang herunter. Libbys blondes Haar peitschte umher, als sie durch die Nachbarschaft fuhren.

"Was haben die Stimmen gestern Abend gesagt?", fragte Libby.

"Lass mich in Ruhe", antwortete Melinda.

Libby schaute aus dem Fenster. Sie war wirklich neugierig auf die geheimnisvollen Besucher ihrer Schwester, aber mehr wegen der Geschichte, die sie ihren Schulfreunden erzählen konnte, als aus wirklicher Sorge um Melindas Gefühle.

Als sie sich der Schule näherten, sah Libby im Rückspiegel, wie Rosie ihren rosa Lipgloss auftrug. Sie sah perfekt aus, wie immer.

Libby machte sich nichts aus diesem mädchenhaften Zeug. Bei den Jungs würde es sowieso nicht wirken.

Sie fuhren auf ihren regulären Parkplatz, wo Jackson schon wartete, wie immer.

Libby beobachtete, wie Jackson sich ins Auto beugte, um Rosie zu küssen. Sie konnte nicht anders, als sich in seine schokoladenfarbenen Augen und seine fürstlichen braunen Locken zu verlieben, genau wie jedes andere Mädchen an der Schule.

"Gehen wir", drängte Jacob seinen Zwilling, als sie aus dem Auto stiegen.

Libby und Jacob folgten Melinda, die mit gesenktem Kopf ging. Sie ließen Rosie zurück, die Jackson küsste; keiner von ihnen verabschiedete sich.

In der Schule waren die Flure voll mit Schülern. Libby und Jacob hörten, wie ihre Namen gerufen wurden, und liefen hinüber, um ihre Freunde inmitten der anderen Cliquen zu finden, die im Treppenhaus herumhingen.

"Hey, Johnsons", sagte Marissa mit ihrer Singsang-Stimme. Sie warf ihr geglättetes Haar über ihre Schulter. "Habt ihr schon von dem Abschlussball gehört?"

"Nein", sagte Libby.

"Sie haben das Thema bekannt gegeben! Casino Royale!"

Libby wollte nicht an den Abschlussball denken, denn sie wusste, dass niemand sie bitten würde, sein Date zu sein. Gut, dass sie ein besseres Thema parat hatte.

"Wen interessiert schon der Abschlussball?", konterte sie, und die ganze Gruppe beugte sich vor, um zuzuhören. Libby lächelte Jacob an.

"Unsere verrückte Schwester hat letzte Nacht ins Bett gemacht."

MELINDA

Melinda schmollte in der Aula.

Gerade als sie dachte, dass sie nicht noch unbeliebter sein könnte, bewies die Highschool ihr das Gegenteil.

Sogar ihr normaler Tisch voller Verlierer hatte sie mit einem leisen Zischen begrüßt, das das Geräusch von Pipi nachahmte.

Jetzt saß sie allein mit Jared an einem Tisch.

Jared hatte Autismus und schien die Einsamkeit zu bevorzugen. Als Melinda sich neben ihn gesetzt hatte, hatte er sein Lehrbuch in die Hand genommen und sich von ihr weggedreht.

Melinda seufzte. Es war ein langer Tag in der neunten Klasse gewesen, um es vorsichtig auszudrücken.

Sie hatte in der Toilette neben dem Theater zu Mittag gegessen.

Melinda wusste, dass Jacob und Libby allen in der Schule von letzter Nacht erzählt hatten. Sie war wütend, aber der Gedanke, es ihnen gegenüber zu erwähnen, war ihr unerträglich peinlich. Sie würden sie nur noch mehr hänseln.

Sie musste so tun, als ob es ihr nichts ausmachte.

Darin war sie so gut, dass sie manchmal glaubte, was sie vorgab, sei wahr.

Diese Fähigkeit war in vielen Bereichen ihres Lebens nützlich, auch bei den flüsternden Stimmen.

Wenn Melinda die Flüsterer egal waren, dann würden sie vielleicht aufhören zu existieren. Und wenn sie nicht existierten, dann könnte Melinda normal sein.

Melinda kümmerte sich auch nicht um die Schattenleute.

Es war ihr so egal, dass sie kaum blinzelte, als sie aufblickte und einen Schattenmenschen hinter Liz - der beliebten Cheerleaderin - sah.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich kaum.

Sie starrte auf Jareds ihr zugedrehten Rücken und wünschte sich, er wäre ihr Freund. Melinda wünschte sich, sie hätte einen einzigen Freund auf der ganzen Welt, mit dem sie reden könnte.

Aber sie hatte keinen.

Sie sah auf ihre dicken Schenkel hinunter und biss auf ihren Fingernagel.

"Hey", sagte Melinda plötzlich und überraschte damit sogar sich selbst. Sie klopfte mit ihrem spitzen Finger auf Jareds Rücken, was sie sofort bereute. Menschen mit Autismus mochten es nicht, wenn man sie berührte.

Jared drehte den Kopf, sagte aber nichts.

"Kannst du mir bei meinen Mathe-Hausaufgaben helfen?" Melinda hatte nicht einmal ihre Hausaufgaben ausgepackt. Sie griff nach ihrem Schulbuch in ihrem Rucksack.

"Algebra 1?", spottete Jared.

"Na ja, Mathe ist nicht meine starke Seite."

Jared sah bei dieser Bemerkung verwirrt aus.

Melinda knallte das dicke Buch auf den Tisch.

"Das verstehe ich nicht...", sagte Jared.

Melinda drehte sich zu ihm um, ihre Augen verengten sich. Sie wollte gerade erklären, dass sie eine eher dominante rechte Gehirnhälfte hatte, als Jared wieder zu sprechen begann. Aber sein Mund bewegte sich nicht, und es kam kein Ton heraus.

Es ist fast so, als könnte sie meine Gedanken lesen.

Melinda schluckte.

Konnte sie seine Gedanken lesen?

Jared fuhr fort:

Ich wusste schon immer, dass dieses Mädchen seltsam ist, aber das ist schlimmer, als ich dachte.

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