Alpha und Aurora - Buchumschlag

Alpha und Aurora

Delta Winters

Wiederbelebung

RORY

Als sich meine Augen blinzelnd öffnen, füllt strahlend weißes Licht meine Augen und wunderschöne Chorstimmen füllen meine Ohren mit Hymnen von alt bis neu und allem dazwischen.

Es wirkt, als liege ich auf nichts und nur die Lieder der Zeit hielten mich über Wasser.

Ich stehe auf, indem ich es nur möchte, obwohl ich unter meinen Füßen nichts als Nebel und kaum hörbares Flüstern spüre.

Himmlisches Licht umgibt mich auf allen Seiten und macht mich blind gegenüber allen Ängsten und jedwedem Bösen auf der Welt. Bin ich überhaupt noch auf der Welt?

Es fühlt sich wie so viel mehr an – größer als das Universum selbst.

Eine smaragdgrüne, leuchtende Tür erscheint, ergänzt durch einen weißen Nebel und Disteläste, die den Türrahmen bilden.

Ich schwebe darauf zu, nicht aus eigenem Willen, sondern aus einer Macht, die mich überwältigt, als würde sie mich drängen, durch die Tür zu gehen.

Aber diese Tür hat keinen Griff und es gibt keinen Weg, sie zu öffnen.

Ich sehe mich um, werde von dem endlosen Frieden und der Ruhe verschlungen.

Aber dann dringt die ewige Trostlosigkeit endlich in den Vordergrund meines Verstands ein und quält meine ruhigen Gedanken mit einem Gefühl tiefer, schmerzhafter Einsamkeit.

Bevor ich mich orientieren kann, schiebt die Kraft mich stärker an und lässt mich auf die Tür zustürmen.

Ich bereite mich auf den Schmerz zu, den ich erwarte, aber er kommt nicht.

Der Chorgesang verstummt; das fast schmerzhafte und doch bezaubernde Licht erlischt und wird ersetzt durch Dunkelheit.

Ich blinzle und bin überrascht, als ich mich wieder im Wald auf dem Schurkenterritorium vorfinde, wo mein Alpha mich umgebracht hat.

Was geht hier vor sich?

Ich bin gestorben … Da bin ich mir sicher.

Oder?

Ich kämpfe mich auf die Beine, um meine Umgebung abzusuchen.

Die Nacht bricht herein, als die Dunkelheit mich mit einer sanften, kalten Brise umhüllt. Tiergeräusche hallen durch die flüsternden Bäume.

Das Rascheln der Blätter jagt mir einen Schauer über den Rücken und ich umklammere meine Arme, um mich vor dem Spuk dieses Geländes zu verbergen.

Genau wie jedes Mitglied eines jeden Rudels, habe ich all die Geschichten über Schurken gehört. Einzelgängerische Wölfe, die es ablehnen, beherrscht zu werden, sich zu beugen und einem Alpha Loyalität zu schwören.

Sie sind Wölfe ohne Disziplin, ohne Moralvorstellungen, ohne den Trieb nach Gemeinschaft.

Und ich stehe hier im Herzen ihres Territoriums, wiedererweckt von den Toten.

Dieser verrückten Tatsache werde ich mir wieder bewusst, als ich auf meine Füße starre.

Ich erstarre, als ich realisiere, dass die warme Flüssigkeit, die ich unter meinen Fußsohlen spüre, mein eigenes Blut ist, das aus meinem Hals geströmt ist und eine Lache gebildet hat.

Jetzt strömt es über meine Beine, färbt sie purpurrot, durchbrochen von Matsch und Dreck.

Wie kann das sein? Wie bin ich hierher gekommen? Bin ich wirklich hier?

Vielleicht bin ich gar nicht am Leben. Vielleicht bin ich ein Geist. Oder vielleicht ist dies das Jenseits und die Tür, durch die ich geschoben wurde, war das Tor zu dem, was nach dem Tod kommt.

Ich berühre meinen Hals und stelle fest, dass er immer noch von Blut bedeckt ist, aber die Wunde ist verheilt, als wäre sie nie dagewesen. Ich kann mir das aber nicht nur eingebildet haben, das beweist das Blut an meinen Händen.

Ich habe keine anderen Wunden am Körper, von denen das Blut stammen könnte.

Ich wage es, einen Schritt zu machen, und rutsche natürlich aus.

Auf meinem eigenen Blut …

Und falle mit dem Gesicht voran direkt in die Blutlache …

Ich schließe den Mund und presse meine Lippen aufeinander, aber ich bin zu langsam, denn ich schmecke die salzige, knusprige Mischung aus Erde und Blut.

Ich drehe mich auf den Rücken und fühle mich all meiner Energie beraubt.

Scheiß auf den Plan, mir einen sichereren Platz zu suchen, um nicht von Schurken angegriffen zu werden. Falls dies das Jenseits ist, sind sie vielleicht gar nicht hinter mir her.

Und falls dies nicht das Jenseits ist, sterbe ich vielleicht und werde wieder zum Leben erweckt.

Alles, was ich weiß, ist, dass ich Antworten brauche.

Plötzlich erinnere ich mich an den Brief in meiner Tasche …

Ich greife in meine Jackentasche und bin erleichtert, als ich das Papier zwischen meinen Fingern spüre.

Das ist das Letzte, was ich je von Mama bekommen werde.

Es wird nie sicher für mich sein, dorthin zurückzukehren, und sie kann das Rudel nicht verlassen.

Wusste sie, dass sie mich umbringen würden?

Sie kann es nicht gewusst haben, sonst wäre sie mit mir gekommen. Sie hätte mich gerettet.

Sie wusste, dass ich nie das Gefühl hatte, zum Rudel zu gehören, und weil sie das wusste, dachte sie wahrscheinlich, dass ich ein menschliches Leben führen könnte, wenn ich das Rudel verlasse.

Ich öffne den blutverschmierten Umschlag in meiner Jackentasche und entfalte den Brief.

Liebe Rory,

~

Ich wusste, dass ich dir das eines Tages sagen müsste, ich dachte nur nicht, dass es in einem Abschiedsbrief geschehen muss.

~

Wie du weißt, bin ich nicht deine leibliche Mutter. In der Nacht, in der ich dich auf dem Schurkenterritorium gefunden habe, war ich losgeschickt worden, um einige Kräuter zu sammeln, die man nur in ihrem Gebiet finden kann.

~

In dieser Nacht war ich misstrauisch und ängstlich, aber das leise Wimmern eines Kindes nahm mir all die Angst.

~

Aber ich habe dich nicht nur gefunden – ich habe dich sterbend auf dem Boden gefunden. Ich habe mich zu dir gesetzt, deine kleinen Hände gehalten, dich in den Schlaf gesungen und gehofft, dass ich dein Leiden lindern kann.

~

Du hast nicht geweint, du hast einfach … deine Augen geschlossen.

~

Und du bist gestorben.

~

Zumindest dachte ich das.

~

Ich hatte vor, dich auf dem Rudelterritorium zu begraben, weit weg von den Schurken. Du bist keinen einfachen Tod gestorben, aber du solltest an einem sicheren Ort in Frieden ruhen.

~

Ich habe meine Mission, Kräuter zu sammeln, abgebrochen und bin mit dir in meinen Armen zum Rudel zurückgekehrt, Ich bin nicht so schnell wie andere Wölfe, deshalb hat es eine Weile gedauert, bis ich das Rudel erreichte.

~

Auf halbem Wege hätte ich fast einen Herzinfarkt bekommen.

~

Von dem toten Kindchen, das ich in meinen Armen hielt, hörte ich ein leises Weinen. Ich prüfte deinen Herzschlag und diesmal hattest du einen. Du warst am Leben. Ich weiß nicht wie, aber du warst am Leben.

~

Du bist gestorben, und dann bist du wieder zum Leben erwacht.

~

Zuerst dachte ich, ich muss einen Fehler gemacht haben; dass ich dachte, du wärst tot, obwohl du noch gelebt hast.

~

Also habe ich dich in mein Zuhause gebracht und mir vorgenommen, dich aufzuziehen, über dich zu wachen und dich zu lieben. Deine Eltern hatten dich ganz allein im Wald zurückgelassen, ohne jedes Hab und Gut.

~

Ich wollte, dass dir nie etwas Schlechtes widerfährt, aber du warst das tollpatschigste Mädchen, das ich je gesehen habe. Selbst für einen Menschen; du konntest keine fünf Meter gehen, ohne hinzufallen.

~

Eines Tages, als du sieben Jahre alt warst, waren wir unten am Fluss. Ich habe dort Kräuter gesammelt und nicht bemerkt, dass du im Wasser spielst.

~

Aber du bist ausgerutscht. Du hast dir den Kopf an einem Stein geschlagen, bist mit dem Gesicht nach unten im Wasser gelegen und ertrunken, bevor ich zu dir kommen konnte.

~

Du hattest keinen Puls, du bist gestorben.

~

Aber dieses Mal ging ich auf Nummer sicher. Ich weinte unaufhörlich, aber ich würde nicht denselben Fehler machen wie zuvor.

~

Du warst tot. Da war ich mir sicher.

~

Nach ein paar Stunden hast du Wasser ausgehustet. Du hast geatmet und warst am Leben. Diesmal konnte es keinen Irrtum geben.

~

Und ich wusste, dass du auch gestorben bist, als ich dich gefunden habe. Aber du bist zurückgekommen. Du bist ein Mensch, und doch stirbst du und erwachst immer wieder zum Leben.

~

Ich wusste, dass das eines Tages passieren würde; dass sie dich aus dem Rudel werfen würden. Ich habe mein Bestes gegeben, dass du dich hier wie zuhause fühlst und das Gefühl hast, dass die Rudelmitglieder deine Familie sind.

~

Aber die Welpen mochten Menschen nie, obwohl ihre Eltern sie anders erzogen haben.

~

Als Nickolas Alpha wurde, wusste ich, dass es nur eine Frage der Zeit war.

~

Du darfst niemandem von diesem Geschenk erzählen. Ich weiß nicht, was du noch tun kannst, aber Menschen und Wölfe werden es ausnutzen. Erzähle niemandem davon.

~

Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen, um sicherzugehen, dass du nicht in Schwierigkeiten gerätst, aber ich würde dich nur verlangsamen.

~

Als ich dich gefunden habe, warst du nicht von Schurken zerfleischt, sondern mit einer Klinge genau ins Herz gestochen worden.

~

Jemand hatte versucht, dich umzubringen; vielleicht deine Eltern, aber der Punkt ist, die Schurken haben dir nichts getan, obwohl viele von ihnen dir begegnet sein müssen. Und als ich dich in meinen Armen trug, hat sich mir kein einziger Schurke genähert.

~

Aber du kannst niemandem trauen. Und du kannst nicht zum Rudel und zu mir zurückkehren. Du musst weit von hier weglaufen, wo dich niemand kennt. Ein neues Leben anfangen.

~

Pass auf dich auf, Rory.

~

Ich liebe dich.

~

Deine Mama

~

Sie wusste es. Sie wusste, dass ich sterben und wieder zum Leben erwachen konnte.

Warum hat sie mir das nicht vorher gesagt? Warum gibt sie mir diese Information jetzt? Wusste sie, dass ich sterben und wiederbelebt werden würde, und hat es deshalb erklärt? Wusste sie, dass Alpha Nick mich umbringen würde?

Ich habe so viele Fragen, aber sie wird sie nie beantworten können, weil sie recht hat, ich kann nicht hierbleiben. Sie haben mich umgebracht. Sie haben mir die Kehle aufgeschlitzt.

Wenn ich irgendwie lebendig wieder im Rudel auftauchen würde, würden sie es vielleicht nochmal versuchen, und ich würde wieder zum Leben erwachen, und dann wüssten sie es.

Wie viele Leben habe ich?

Was, wenn dies mein letztes Leben ist? Ich hatte schon drei Leben mehr, als ich haben sollte.

Ich bin immerhin ein Mensch.

Ich mache mich auf den Weg, bereit dazu, von hier zu verschwinden. Ich muss die menschliche Zivilisation erreichen und aus dem Schurkenterritorium entkommen.

Trotz allem, was Mama gesagt hat, ist es hier draußen gefährlich.

Vielleicht haben Schurken damals einfach das kleine Baby nicht verletzt, das ich war, aber ich bin hier nicht sicher. Ich muss gehen.

Doch genau in diesem Moment höre ich hinter mir das Knirschen trockener Blätter, als ein niedriges, intensives Knurren meine Ohren erfüllt.

Mein Herz rast schneller als menschenmöglich, obwohl auch Wiederbelebung das Menschenmögliche überschreitet.

Meine Augen weiten sich und in dem schwachen Licht des Sonnenaufgangs sehe ich den Schatten eines Schurkenwolfes.

Er nähert sich mir und umkreist mich.

Ich beobachte ihn, halte die Luft an und warte auf den Moment, in dem er mich anspringt.

Was ich nicht erwarte, ist das Geräusch knackender Knochen. Die Verwandlung des Wolfs direkt vor mir lässt meinen Lippen einen kleinen Schrei entweichen.

Er blickt mir in die Augen, als er sich vollständig in seine menschliche, nackte Gestalt verwandelt und langsam auf mich zukommt.

Ich halte meine Augen auf die seinen gerichtet und wage nicht mal, den Blick auch nur ein Wenig zu senken, weil ich Angst vor dem habe, was ich sehen könnte.

„Kleine Mädchen wie du sollten nicht hier draußen sein”, knurrt er und ein bedrohliches Lächeln schleicht sich auf seine Lippen.

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