Teufel vs Alpha - Buchumschlag

Teufel vs Alpha

Sapir Englard

Ein leidenschaftlicher Schreck

1. November 2017

Lumen

EVE

„Sind Sie soweit?“ Martin stand bei der Eingangstüre, ich konnte an seinem Outfit erkennen, dass er nervös war. Khakihosen und ein Hemd. Niemand trägt Khakihosen, wenn er sich selbstbewusst fühlt.

„Warum sind Sie nervös?“, fragte ich ihn, als ich die Treppe herunterkam. „Ich dachte, die Verhandlungen mit Gabriel seien schon abgeschlossen.“

Wir waren auf dem Weg zu Martin Meldetermin im Rudelhaus und obwohl ich diejenige war, die man hier verfolgte, zappelte er nervös rum.

„Ich bin nicht nervös“, erwiderte er.

Ich sah ihn an, mein Blick erinnerte ihn, ich kann deine Gedanken lesen.

„Bye, Mädchen“, rief er Anya und Reyna zu, die am Küchentisch saßen und Müsli aßen.

„Oh nein, wer wird uns nur beschützen, wenn sie weg ist“, fragte Reyna ihre Schwester mit gespielter Sorge.

Ich verzog den Mund. Es brauchte mehr als ein paar ungezogene Teenager, um mich aus der Reserve zu locken.

„Gehen Sie voraus. Ich steige aus dem Fenster“, sagte ich zu Martin.

„Sie steigen aus dem Fenster?“

„Nun ja, ich kann ja schließlich nicht einfach ins Rudelhaus laufen, Martin.“ Er sah mich verständnislos an.

„Alle, die nicht wolfartig sind, brauchen eine Aufenthaltserlaubnis in Lumen, das wissen Sie doch. Ich habe keine. Also muss ich mich bedeckt halten.“

„Ich dachte, Sie begleiten mich zu dem Termin.“

„Ich werde alles beobachten. Machen Sie sich keine Sorgen.“ Er nickte unsicher und öffnete dann die Tür.

Ich lief die Treppe wieder rauf und betrat das Gästezimmer, das ich bezogen hatte. Vor einem Fenster auf der Seite des Hauses stand ein Baum, der nur einen Sprung entfernt war.

Ich öffnete das Fenster und sprang auf den nächsten Ast. Von dort schwang ich mich auf das Dach des Nachbarhauses.

Und dann sprang ich von Dach zu Dach, bis das Rudelhaus vor mir lag. Mir war klar, dass ich mich vorher umsehen musste, um herauszufinden, wo Martins Termin mit dem Alpha stattfand, also verlor ich keine Zeit. Ich holte noch einmal Luft und sprang los.

***

Ich hatte mich auf eine Feuertreppe vor das Zimmer gekauert, in dem Martin nervös auf und ab lief. Er war von einem Rezeptionisten hineingebracht worden und wartete nun auf Gabriels Erscheinen.

Immer wieder sah er zum Fenster, als ob er versuchte, herauszufinden, ob ich wirklich da war. Aber er konnte mich nicht sehen. Ich hatte mich gedimmt und hinter einer Ziegelmauer war ich gut versteckt.

Dann öffnete sich die Tür und ich sah, wie Gabriel und sein Beta Zavier den Raum betraten. In den letzten Jahrzehnten war ich Gabriel ein paar Mal begegnet und kannte ihn als typischen Alpha. Charmant und eingebildet und das zu gleichen Teilen.

Ich verstärkte meine Hörkraft und so konnte ich alles mithören, was hinter dem kugelsicheren Glas gesprochen wurde.

„Martin Morgan. Sehr erfreut, Sie zu sehen“, sagte Gabriel und schüttelte Martins Hand.

„Ebenso, Alpha“, entgegnete Martin.

„Nennen Sie mich Gabriel. Und bitte, nehmen Sie Platz.“ Gabriel zeigte zum Konferenztisch und Martin setzte sich ihm gegenüber. „Sie kennen Zavier, meinen Beta.“

„Hallo.“ Martin nickte ihm zu.

„Ich habe ein paar Unterlagen, die Sie ausfüllen müssten, sobald das erledigt ist, wird Ihre Aufenthaltsgenehmigung in Ihrem neuen Haus bestätigt.“ Zavier legte einen Stapel Dokumente, so dick wie ein Lexikon, vor Martin auf den Tisch.

„Das sind eine Menge Unterlagen.“ Martin seufzte.

„Man kann nie vorsichtig genug sein“, antwortete Gabriel mit einem listigen Lächeln auf dem Gesicht.

Ich verdrehte die Augen wegen dem Alpha – seine großen Muskeln, sein wallendes Haar. Er war es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen.

Und er genoss es, die Überhand zu haben, sogar einem Menschen gegenüber, der gerade seine Frau verloren hatte.

Ich beobachtete, wie Martin den Deckel des Füllfederhalters aufschraubte und sich an die Arbeit mit den Unterlagen machte, als plötzlich das Handy in meiner Tasche vibrierte. Ich zog es hervor.

Anyaeve?
Anyahilfe!!
EveWas ist los?
Anyabitte komm schnell!!!

Ich schwang mich sofort auf den nächsten Baum und weiter auf ein Dach und eilte zurück zum Haus der Morgans, auf dem gleichen Weg, auf dem ich gekommen war.

„Anya?“, rief ich noch als ich durch das Fenster in mein Zimmer flog, dann rannte ich auf den Flur. „Reyna?“

Es kam keine Antwort. Ich durchsuchte alle Schlafzimmer im oberen Stock und weil sie alle leer waren, rannte ich die Stufen runter zum Wohnzimmer. „MÄDCHEN?“, rief ich wieder.

„Wir sind hier“, hörte ich eine Stimme hinter mir und drehte mich. Reyna stand vor Martins Büro und warf etwas zwischen ihren Händen hin und her.

„Wo ist Anya? Sie hat mir geschrieben, es gibt einen Notfall.“

„Entschuldige. Ich bin manchmal etwas dramatisch“, sagte Anya und tauchte aus dem Büro auf.

„Weshalb habt ihr mich dann gerufen?“

Reyna hörte auf, den Gegenstand in ihren Händen hin und her zu werfen und hielt ihn mir mit zusammengekniffenen Augen vor die Nase. Dann erkannte ich es.

Eine Pillendose.

Meine Pillendose.

„R21?“, fragte sie und las das Etikett, aber bevor sie noch mehr lesen konnte, ging ich auf sie zu und nahm ihr die Pillendose weg.

„Hey!“, zischte sie mich an.

„Woher habt ihr das?“, fragte ich sie.

„Sie sind bei uns eingezogen. Wir haben ein Recht zu wissen, wer Sie sind“, schnappte Reyna zurück.

„Genau, besonders, wenn Sie drogensüchtig sind“, fügte Anya hinzu.

„Das sind keine Drogen“, sagte ich und hielt die Tabletten hoch. „Ich brauche sie aus gesundheitlichen Gründen.“

„Genau das würde auch ein Drogensüchtiger sagen“, nuschelte Anya.

„Genug davon“, wies ich die beiden zurecht. „Wenn ihr noch einmal durch meine Sachen geht, dann –“

„Dann was? Jagen Sie uns?“, sagte Reyna herausfordernd.

„Ich habe keinen Grund, euch zu jagen, Reyna. Ich wohne schon bei euch. Nicht nur das, ich weiß auch alles über euch. Ich weiß mehr über euch als ihr selbst.“ Ich machte eine Pause und ließ das einsinken.

„Ihr wisst, dass ich Kräfte habe. Ihr habt es mit eigenen Augen gesehen. Aber das ist erst der Anfang. Also wenn ich euch Anweisungen gebe, dann glaubt mir, wenn ich sage, es liegt in eurem Interesse, sie zu befolgen.

Ich sah die Mädchen an, wie sie das alles verdauten. „Gut. Jetzt gehe ich wieder, euren Dad beschützen. Und geht nicht noch einmal in mein Zimmer.

***

Als ich wieder zurück auf der Feuertreppe war, schraubte Martin gerade den Füllfederhalter wieder zu. Er war offensichtlich erschöpft von dem Stapel Dokumente, die er gerade unterschrieben hatte. Er rieb sich die Schläfen.

„So, das war’s dann?“, fragte er Gabriel.

„Das war’s.“ Gabriel lächelte. Zavier sammelte den Stapel Papiere vom Tisch ein und Martin stand auf. Aber ich konnte spüren, dass Gabriel noch nicht mit ihm fertig war.

„Einen kurzen Moment noch, Martin“, fing er an und ging um den Tisch, um näher bei ihm zu stehen. „Es möchte Sie jemand kennenlernen.“

Und da spürte ich ihn auf einmal.

Ihn.

Derjenige aus meinen Träumen. Aus all meinen Träumen.

Ich konnte ihn nicht sehen, aber ich konnte ihn riechen. Ich konnte ihn schmecken, konnte ihn fühlen, und auf einmal bekam ich Panik.

Er war hier.

Und dann öffnete sich die Tür des Besprechungszimmers und da war er.

„Raphael, wir freuen uns, dass du zu Besuch bist.“ Gabriel lächelte ihn an und bat ihn in den Raum.

Von ganz alleine ging mein Mund auf und ich merkte, wie ich mir die Lippen leckte, als ich ihn beobachtete. Seine goldbraune Haut, seine starken Arme und dieses männliche, markante Kinn.

Verflucht.

Raphael lächelte Martin an – sogar aus der Ferne wurden meine Beine schwach – und sie schüttelten sich die Hände. „Großartig, Sie kennenzulernen, Martin. Mein herzliches Beileid.“

„Vielen Dank“, brachte Martin stotternd heraus und war jetzt noch nervöser als zuvor. Denn er hatte gerade dem mächtigsten Mann der Werwolfbevölkerung die Hand geschüttelt – dem Alpha des Millenniums.

Dem Alpha der Alphas.

Genau in dem Moment drehte Raphael sich um und sah zum Fenster. Automatisch trat ich einen Schritt zurück, drückte mich gegen die Ziegelwand und dimmte mich noch mehr. Ich kniff die Augen fest zusammen.

Was hatte er hier zu suchen?

Aus welchem Anlass würde der Alpha des Millenniums nach Lumen kommen?

Aber dann wurde es mir klar. Die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen an der Grenze, der Nachdruck, mit dem mich die vier Wölfe verfolgt hatten, jetzt ergab alles einen Sinn.

Wenn der Alpha der Alphas in der Nähe war, wurde jeder unbekannte Eindringling als Bedrohung höchster Priorität behandelt.

Dieses Arschloch. Immer machte er mir mein Leben schwer.

„Sie ist hier“, hörte ich Raphaels Stimme aus dem Raum kommen. Obwohl ich nicht hinsah, wusste ich, dass er näher ans Fenster gekommen war. Ich konnte ihn spüren, so wie er mich spüren konnte.

„Wer ist hier?“, fragte Gabriel.

Aber Raphael ignorierte ihn. „Ich weiß, dass du hier bist“, rief er mir zu. „Ich kann dich riechen.“

Ich versuchte, ruhig weiter zu atmen. Aber meine Erregung … ich hatte sie nicht unter Kontrolle. Die Hitze zwischen meinen Beinen wurde stärker, alleine schon, wenn ich ihm nur zuhörte.

„Ich treibe keine Spielchen“, knurrte Raphael und er wurde lauter, was bedeutete, er kam näher. „Zeig dich! Ich befehle dir, zeig dich!“

Alles was ich wollte, war mich ihm zu zeigen. Ihm nahe zu sein, von ihm berührt zu werden. Mein Körper zitterte vor Verlangen, vor Sehnsucht, aber mein Geist ließ es nicht zu.

Ich wusste zu viel.

„Zeig dich, bevor ich dich finde“, drohte er mir, kochend vor Zorn.

Das genügte mir. Ich würde mich von ihm nicht bedrohen lassen. Nicht heute.

Ich trat direkt vor das Fenster und machte mich vollkommen sichtbar. Er stand Zentimeter von mir entfernt auf der anderen Seite des Glases.

„Da ist sie ja.“ Er grinste mich an und meine Hände begannen zu schwitzen.

„Was tust du hier?“, fuhr ich ihn an.

Er kam näher und öffnete das Fenster. Und dann war da nichts mehr zwischen uns. Ich hätte meine Hand ausstrecken und ihn berühren können, wenn ich gewollt hätte.

Und oh, ich wollte nichts lieber als das.

Aber ich konnte nicht.

„Geschäftliches für das Rudel“, antwortete er mir. „Was tust du hier, Liebling?“

Wir sahen uns direkt in die Augen und ich spürte den Schauer, den er mir über den Rücken jagte.

Die Hitze in meinem Inneren flammte erneut auf und von hier konnte ich seine Lippen förmlich schmecken. Aber ich konnte nicht. Er durfte nicht gewinnen.

Er durfte nie wieder gewinnen.

„Ich bin nicht dein Liebling.“

„Weiß dein Körper das auch?“ Er ließ seinen Blick an mir auf und ab gleiten. Ich wollte stöhnen.

„Verlasse Lumen. Geh weg von hier“, verlangte ich.

Er grinste nur, diesmal noch breiter, dann lehnte er sich mit dem Kopf aus dem Fenster. Wir waren nur noch Millimeter voneinander entfernt.

„Aber Eve, jetzt wo du hier bist, habe ich noch viel mehr Gründe zu bleiben.“

Bevor ich wusste, was geschah, kletterte er durchs Fenster und stand neben mir auf der Feuertreppe. Ich war wie versteinert, genau wie im Traum.

Mein Körper verzehrte sich nach ihm. Ich musste die Distanz zwischen uns überwinden, ihn an mir spüren. Aber mein Geist schrie, ich solle laufen.

Lauf, Eve! Lauf!

Er griff nach mir, nach meinem Gesicht, und ich sah in Zeitlupe, wie seine Hand durch die Luft auf mich zukam. Aber bevor er mich berührte, kam mein Körper wieder zu sich. Ich löste mich aus der Versteinerung.

Und war bereit zu laufen.

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