Gezeichnet vom Alphakönig - Buchumschlag

Gezeichnet vom Alphakönig

Danni D

Das Brechen der Ketten

ARIEL

Ich fühle eine Stärke in mir, die ich schon sehr, sehr lange nicht mehr gespürt habe. Meinte sie das mit dem Geschenk der Heilung?

Danke, Selene. Aber das war nicht alles, was sie gesagt hat …

Sie hat mir gesagt, ich müsse entkommen …

Und dass ich meinen Gefährten finden muss.

Meinen Gefährten?

Ich wüsste nicht, wo ich anfangen soll zu suchen, aber hier ist er ganz bestimmt nicht.

Ich kämpfe mit meinen Ketten; auch wenn das Silber mich nicht mehr so reizt wie vorher, brennt es immer noch.

Ich höre, wie sich die Tür am oberen Ende der Treppe öffnet und unregelmäßige Schritte hinunterstolpern.

Das wird vermutlich Curt sein, wieder betrunken. Er liebt es, mich zu quälen, wenn er sturzbesoffen ist.

Aber er weiß nicht, dass ich meine Stärke wiedererlangt habe. Das kann ich zu meinem Vorteil nutzen.

„Endlich bist du wach, Köter. Gut. Wir werden ein kleines Spiel spielen“, lallt er.

Curt greift nach einem Silberhalsband und legt es mir um den Hals, bevor er die Ketten um meinen Armen entfernt.

Er reißt an der Kette, die an meinem Hals befestigt ist, und zwingt mich auf meine Knie.

„Wir haben oben ein paar Gäste und du wirst sie unterhalten“, sagt er mit einem dunklen Lächeln.

Gäste? Also sind oben noch mehr Jäger. Ich muss vorsichtig sein. Ich mag meine Stärke zurückhaben, aber sie sind immer noch in der Überzahl.

Curt stolpert, als er die Stufen hinaufsteigen will, und zieht mich hinter sich her.

Wenn sie auch nur ansatzweise so betrunken sind wie Curt, könnte ich tatsächlich eine Chance haben …

„Beweg dich, Schlampe! Ich möchte mein schönstes Exemplar vorführen. Du bist der Beweis dafür, dass man einem dreckigen Köter doch noch Tricks beibringen kann“, sagt er und festigt seinen Griff an der Kette.

Gut. Halt dich nur fest, du abscheulicher Bastard.

Knurrend tritt meine Wölfin an die Oberfläche und ich reiße so fest an der Kette, wie ich kann.

Curt verliert den Halt unter seinen Füßen und fällt rückwärts wie eine Puppe die Treppe hinunter.

Von unten höre ich ein lautes Knacks, als sein Rücken bricht.

Ruhig gehe ich die Stufen hinunter und stehe über seinem Körper, während er zu mir aufsieht und um Gnade winselt.

„B-bitte …“

Ich greife in seine Tasche und finde den Schlüssel für mein Halsband, schließe es auf und lasse es auf den Boden fallen.

Ich starre in seine kalten, grauen Augen. Die Augen, die ich zwei Jahre lang jeden Tag gesehen habe, während er an mir herumexperimentiert hat.

Mich gefoltert hat.

Die Augen, die mich haben durchhalten lassen. Wenn ich sie ihm nur eines Tages aus seinem Gesicht reißen könnte.

Aus meinen Fingerspitzen werden Krallen.

„Dreckiger Wolf. Ich werde dich töten. Ich werde alle von euch töten“, stottert er, während Blut aus seinem Mund läuft.

Ich lasse meine Krallen in sein Gesicht eintauchen und reiße sie mit einer einzigen schnellen Bewegung wieder heraus.

„Du wirst nie wieder jemandem wehtun“, sage ich und wische das Blut an dem dünnen Stofffetzen ab, den ich als Kleid trage.

Ich spüre etwas in mir, aber es ist nicht die Stärke der Göttin. Nein, es ist etwas anderes …

Ich sehe rot. Mein Verstand vernebelt. Ich verliere die Kontrolle.

Mit jeder Stufe, die ich nehme, spüre ich mehr und mehr unbändige Wut in mir aufsteigen.

Was … was passiert mit mir?

Ich öffne die Tür am oberen Ende der Treppe nicht nur …

… Ich reiße sie aus den Angeln.

Ich gehe durch einen leeren, sterilen Flur, bis zu einer geschlossenen Tür.

Auf der anderen Seite dröhnt Partymusik und ich höre mehrere Männer – mindestens fünf – die betrunken tanzen und herumalbern.

Ich trete die Tür ein und knurre, wütend und wild und bereit zu töten.

Die Männer schauen mich wie betäubt an, während meine Augen von einem Jäger zum nächsten wandern.

„Wer will zuerst?“, knurre ich und fahre meine Krallen aus.

Einer der Jäger zieht eine Waffe aus seinem Holster, aber er ist zu langsam. Ich schlage sie ihm aus der Hand, bevor ich sein Fleisch mit meinen Krallen zerreiße.

Zwei weitere wollen mich von hinten angreifen, aber ich schwinge herum und schlitze ihnen die Kehlen auf.

Sie greifen nach ihren Hälsen, während Blut durch ihre Finger sickert, und sie neben ihrem Kameraden zu Boden gehen.

Der vierte Jäger zieht ein Messer aus seinem Stiefel und stürmt schreiend auf mich zu. Er sticht auf mein Gesicht ein, die Klinge durchdringt meine Haut und hinterlässt einen kleinen Schnitt.

Als das Blut wie eine einzelne Träne über mein Gesicht läuft, berühre ich die Stelle, an der er mich geschnitten hat, und spüre, wie sie bereits verheilt.

Seine Augen weiten sich ungläubig. „W-wie hast du …?“

Ich reiße ihm das Messer aus der Hand und stoße es ihm in die Brust. Er fällt auf den Boden und seine Augen scheinen aus seinem Kopf heraustreten zu wollen.

Ich will aufhören und durchatmen, aber mein Körper lässt mich nicht. Ich laufe auf purem Adrenalin … Oder etwas anderem, aber ich fühle mich, als hätte ich mich nicht mehr unter Kontrolle.

Als ich mich umdrehe, um nach einem Ausgang zu suchen, sehe ich einen jungen Jäger, der eine Waffe hält. Seine Hände zittern, während er sie direkt auf mich gerichtet hält.

Scheiße. Fünf. Ich habe vergessen, dass es fünf sind.

PENG!

Ich fühle, wie sich eine Silberkugel durch meinen Oberschenkel bohrt, aber anstatt auf der anderen Seite wieder auszutreten, bleibt sie in meinem Bein eingeschlossen.

Ohne zu zögern stürze ich mich auf den jungen Jäger und breche sein Genick, aber als ich mich aufrichte, schießt ein sengender Schmerz durch meinen Körper.

Mist, wie funktioniert diese Sache mit dem Heilen? Das ist der schlimmste Schmerz, den ich je gespürt habe!

Ich schaue mich um und während ich das von mir angerichtete Gemetzel betrachte, frage ich mich, was die Göttin denken würde. Sie sagte mir, ich solle fliehen, nicht, dass ich jeden in diesem Gebäude umbringen soll.

Funktioniert die Heilung deshalb nicht mehr?

Ich schnappe mir eine Laterne, humpele auf eine Leiter zu, die zu einer Luke führt, und klettere durch einen dunklen Tunnel hinauf.

Oben angekommen, halte ich meine Laterne hoch und finde mich in einer alten Scheune wieder.

Also haben sie sich die ganze Zeit in einer geheimen, unterirdischen Anlage versteckt. Kein Wunder, dass mich niemand finden konnte …

Ich stehe vor dem massiven Scheunentor und will es gerade aufstoßen, um dieses Höllenloch für immer zu verlassen, als ich in der Ecke mehrere Kerosintanks entdecke.

Ich kann nicht zulassen, dass dieser Ort weiterhin für das Böse benutzt wird …

Ich verteile das Kerosin in der ganzen Scheune und zerschmettere die Laterne, wodurch umgehend ein tobendes Inferno entfacht.

Während sich das Feuer ausbreitet, fühle ich Triumph in mir aufsteigen, aber dieses Gefühl schlägt sofort in Furcht um, als ich sehe, wie sich das Feuer auf einen in der Ecke stehenden und von einer Plane zugedeckten Pick-up zubewegt.

Mist.

KA-BOOOOM!

Meine Füße heben vom Boden ab und ich fliege rückwärts gegen das splitternde Holztor der Scheune.

Ich lande auf dem Rücken und ein sengender Schmerz durchfährt meinen Körper. Die funkelnden Sterne am Nachthimmel fangen an, sich in verschwommene schwarze Flecken zu verwandeln.

Als der Rauch sich über die Lichtung legt und der Geruch von brennendem Öl meine Sinne überwältigt, fühle ich, wie mein Geist mir langsam entgleitet.

ALEX

Die kühle Nachtluft fühlt sich angenehm an, als ich mein Bier auf dem alten Wasserturm mit Blick auf den Wald schlürfe.

Technisch gesehen ist er außerhalb der Rudelgrenzen, aber es ist einfach der beste Ort, um allem entfliehen zu können – der Politik, den Geschäften des Rudels, dem Druck.

Ich blicke nach rechts und sehe, dass Dominic sein viertes Bier bereits leer hat und sich ein fünftes aufmacht.

Verdammt, ich muss aufholen.

„Wann bist du so eine Memme geworden?“, fragt Dom neckend.

„Du weißt, dass du davon einen Bierbauch bekommst? Vielleicht hast du deshalb noch keine Gefährtin“, gebe ich zurück und stoße ihn in die Rippen. „Deine vorherbestimmte Gefährtin hat einen Blick auf deine Wampe geworfen und ist geflüchtet.“

„Das nennt sich Dad Bod, Alex. Die sind total angesagt. Wölfinnen lieben sie“, antwortet er und grinst.

Seit wir Welpen waren, ist Dom schon mein bester Freund, aber so gerne ich ihn auch ärgere, manchmal glaube ich, dass ich ihn zurückhalte.

„Du weißt, dass du dir eine Gefährtin suchen kannst, wann immer du willst. Ich kann die Stellung auch gut alleine halten“, sage ich in einem ernsten Ton. „Bleib nicht nur meinetwegen hier.“

„Alex, das hatten wir schon und meine Antwort ist immer noch dieselbe. Ich gehe nirgendwohin.“

„Hör zu, ich weiß, dass es mir eine Zeitlang schlecht ging, aber ich versichere dir, dass ich wieder okay bin“, sage ich und versuche, überzeugend zu klingen.

„Die Trauerphase ist vorbei. Es ist sechs Monate her, seit Olivia … seit sie …“ Meine Stimme bricht und mein Hals wird ganz trocken.

Allein ihren Namen auszusprechen, lässt eine Ladung silberner Ziegelsteine auf mein Herz fallen.

„Wirklich, es geht mir gut“, sage ich und drehe mich um, um die Tränen wegzuwischen, die sich in meinen Augen sammeln.

„Sehr überzeugend“, sagt Dominic und seufzt, als er seine Hand auf meine Schulter legt.

„Alex, du hast deine vorherbestimmte Gefährtin verloren. Es war plötzlich und du konntest dich nicht einmal verabschieden. Davon erholt man sich nicht so einfach und das ist okay. Das ist kein verdammtes Wettrennen.“

Ich weiß, dass er recht hat. Olivias Tod hat ein Loch in mir hinterlassen. Es ist, als wäre mir mein Innerstes aus dem Körper gerissen worden, was eine dunkle Leere hinterlassen hat, die nicht wieder gefüllt werden kann.

Keine Heilung der Welt kann eine derart klaffende Wunde heilen.

„Dom, ich weiß es zu schätzen, dass du für mich da sein möchtest, aber das geht auf Kosten deines eigenen –“

KA-BOOOOM!

Ich verschütte mein Bier, als eine gewaltige Explosion den ohnehin schon klapprigen Wasserturm erschüttert.

In der Ferne steigt eine schwarze Rauchwolke aus dem Wald auf und die Glut des Feuers färbt den Nachthimmel rot.

Ich schaue zu Dom. Er sieht genauso schockiert aus wie ich.

„Ich gehe dorthin“, sage ich plötzlich.

Vielleicht ist es das Bier oder das Gerede über Olivia, aber aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dorthin gehen zu müssen.

„Alex, bist du wahnsinnig? Das ist weit außerhalb der Rudelgrenze. Ich kann nicht erlauben, dass du das tust“, sagt er und greift nach meinem Arm.

Du kannst es ~mir~ nicht erlauben?“, frage ich in einem Ton, der ihn daran erinnert, wer hier die Befehle gibt.

Dom knurrt unterwürfig. „Scheiße, wieso versuche ich es überhaupt? Also gut, wenn du darauf bestehst, ein Idiot zu sein, komme ich mit.“

„Nein, du holst Verstärkung und schickst eine Kriegerstaffel her. Jemand muss das Rudel warnen.“

Wieder knurrt Dom und schwingt sich über das Geländer an der Seite des Turms. „Schön, aber stell nichts Dummes an“, sagt er, bevor er in den Baumkronen verschwindet.

***

Ich bin fast außer Atem, als ich die Lichtung mit der Explosion erreiche. Es ist leicht, dem Geruch des Feuers zu folgen, aber da ist noch etwas anderes … definitiv ein Wolf.

Ich kauere in den Büschen am Rand der Lichtung und suche nach Anzeichen von Schurken, aber dieser Wolf riecht nicht nach Schurke.

Der Geruch ist angenehm, Honig gemischt mit Brombeeren.

Durch den dichten Rauch sehe ich jemanden auf dem Boden liegen.

Ich verlasse mein Versteck, um besser sehen zu können, und meine Augen weiten sich bei dem Anblick, der sich mir bietet …

Ein Mädchen, bedeckt mit Blut und Asche, liegt dort vollkommen still, bewusstlos und verletzt. Der Mondschein durchschneidet den Rauch und erleuchtet sie wie einen gefallenen Engel.

Als ich näherkomme, habe ich nur noch einen Gedanken …

Wer ist diese wunderschöne Wölfin?

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