Al Nadaha - Buchumschlag

Al Nadaha

Aya Sherif

Kapitel 1

LAYLA

Herzschmerz. Es war seltsam, aber ich könnte es als die Musik eines großen Orchesters beschreiben.

Manchmal war es ruhig, so dass ich funktionieren konnte, um zu begreifen, was wirklich passiert war. Zu anderen Zeiten spielten die Geigen und verzehrten die Traurigkeit, die meinen Verstand betäubte.

Dann steigerten sie sich zu einem Crescendo, das die Wut ins Unermessliche trieb, während sie tief in meinem Körper kochte wie Lava.

Leider war mein Gehirn für das Dirigieren dieses Orchesters zuständig, indem es alle Zeichen, die ich übersehen hatte, und alle Erinnerungen, die ich unbedingt vergessen wollte, wieder und wieder abspielte.

Es fühlte sich an, als hätte mein Gehirn nur eine einzige Absicht - mir absolutes Elend zu bereiten ...

Mit einem verzweifelten Seufzer rutschte ich in meinem unbequemen Stuhl hin und her und warf einen weiteren Blick auf die Uhr an der Wand.

Kaum zehn Minuten waren vergangen, seit ich hier angekommen war und ich sehnte mich bereits danach, wieder nach Hause zu gehen und mich unter meiner Decke zu verkriechen.

Es war das erste Mal, dass ich das Haus verlassen hatte, seit das alles passiert war, und wirklich alles schien mich nervös zu machen. Das Ticken der Uhr an der Wand, die Geräusche des Lachens und das Geschnatter der energiegeladenen Menschen.

Wobei mich eher die Vorstellung störte, dass andere Menschen so fröhlich und voller Energie waren, weil ich mich das daran erinnerte, dass ich noch vor ein paar Tagen genauso gewesen war.

Kurz bevor ich herausfand, dass die Person, der ich am meisten vertraute und die ich mehr als alles andere liebte, ein erbärmlicher Bastard war, der mich mit meiner besten Freundin betrog.

Als ich die beiden zusammen sah, fühlte ich mich, als wäre ich emotional am Ende - vollkommen leer und hohl. Aber dann verwandelte sich diese Leere in einen Schmerz, als würde mir jemand wiederholt mit scharfen Dolchen in die Brust stechen.

Dann wurde aus dem Schmerz Hass, und dieser Hass verwandelte sich in überwältigende Wut.

Ich war wütend auf ihn, auf die Teufelin, die ich einmal eine Freundin genannt hatte, und vor allem auf mich selbst. Ich war wütend, dass ich ihn geliebt und ihm vertraut hatte. Dass ich es nicht schon lange hatte kommen sehen.

Dass ich es versäumt hatte, hinter seine Maske aus Lügen zu blicken, die die Realität seines widerlichen Charakters verbarg. Dass ich ihm erlaubt hatte, mich zu verletzen. Und dass ich mich durch ihn so schwach und zerbrechlich fühlte.

Das Sprichwort war also wahr: "Das Schlimmste am Verrat ist, dass er nie von deinen Feinden kommt."

"Layla ... Layla!"

Die Stimme der Sekretärin holte mich zurück in die Gegenwart. Es dauerte eine Weile, bis ich endlich zu ihr aufsah.

Sie lachte ein wenig. "Sie müssen sehr beschäftigt gewesen sein und sich eine neue Geschichte ausgedacht haben. Die ganze Etage hat gehört, wie ich Ihren Namen rief, während Sie in einem anderen Universum waren."

Ich zwang mich zu einem Lächeln. "Ja, so ähnlich."

"Der Chef ist bereit, Sie zu sehen, und ich glaube, es gibt gute Neuigkeiten für Sie", sagte sie und ein breites Grinsen zierte ihr Gesicht.

Natürlich wollte sie nur nett sein, aber ihre positive Einstellung ging mir auf die Nerven.

"Das hoffe ich doch", murmelte ich, bevor ich zum Büro des Chefs eilte, da ich nicht das Bedürfnis hatte, mein Gespräch mit ihr noch weiter in die Länge zu ziehen.

Als ich sein modern eingerichtetes Büro betrat, sah ich ihn hinter seinem großen Schreibtisch sitzen. Seine Augen waren auf eine Akte in seiner Hand gerichtete.

Er war Ende fünfzig, doch das Alter war wirklich gnädig mit ihm gewesen. Er hatte nur ein paar graue Haare, von denen ich annahm, dass er sie absichtlich nicht färbte, da sie seinem tiefschwarzen Haar mehr Stil verliehen.

Seine braune Haut wies keinerlei Falten auf. Aber wenn man in seine tiefen, dunkelbraunen Augen blickte, konnte man die vielen Jahre unschätzbarer Lebenserfahrung sehen.

Ich setzte ein gezwungenes Lächeln auf und kündigte schließlich meine Anwesenheit an. "Guten Abend, Sir."

Seine Augen leuchteten auf, als sie mein Gesicht sahen, und er sah mich mit einem breiten Lächeln an, das seine perfekten, weißen Zähne zeigte.

Offensichtlich war ich die Einzige, die hier mies gelaunt war.

"Da ist ja meine brillante Schriftstellerin", rief er freudig.

"Layla, ich muss zugeben, dass ich wirklich beeindruckt war, als ich die letzten beiden Geschichten gelesen habe. Sie sind brillant! Die Leser werden verrückt werden, wenn sie sie lesen. Zwei Geschichten in einer Woche, das ist neu."

"Na ja, ich hatte in letzter Zeit viel freie Zeit", antwortete ich ihm vage. Aber es stimmte. In der letzten Woche hatte ich kaum mein Zimmer verlassen.

"Ich hoffe, das passiert öfter", sagte er mit einem breiten Lächeln, und ich verdrehe innerlich die Augen.

"Aber im Ernst, ich verstehe nicht, warum Sie sich weigern, Vollzeit zu schreiben." Das Lächeln war nun verschwunden und stattdessen warf er mir einen missbilligenden Blick zu.

Dieses Thema war schon immer eine wiederkehrende, alte Debatte zwischen uns gewesen.

Er seufzte, bevor er fortfuhr. "Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass in dieser Zeitschrift immer ein Platz nur für Sie reserviert sein wird.

"Und die Leser lieben Sie bereits. Sie haben sogar Ihre eigenen Fans, die das Magazin nur wegen Ihrer Rubrik kaufen."

"Und, Sir, ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich derzeit an meinem Master-Abschluss arbeite und es mir nicht wirklich helfen würde, meinen derzeitigen Job aufzugeben", versuche ich zu argumentieren.

Aber tatsächlich fing ich langsam an, über sein Angebot nachzudenken, denn ich musste ständig daran denken, dass mein vorübergehender Urlaub bald zu Ende sein würde.

Ich würde wieder zur Arbeit gehen müssen, wo das Stück Müll, das zu einem Menschen recycelt worden und zufällig mein Ex-Verlobter war, ebenfalls arbeitete.

"Master oder Doktortitel oder was auch immer. Diese Titel sind in unserem Land wertlos, meine Liebe." Er winkte mit den Händen, um seine Worte zu unterstreichen.

"Aber hören Sie, Sie sind eine wirklich begabte Schriftstellerin, und vielleicht werden wir bald eines Ihrer veröffentlichten Bücher lesen. Ich biete Ihnen hier eine echte Chance", beharrte er und richtete seinen intensiven Blick auf mich.

"Das verstehe ich, Sir, und ich weiß das wirklich zu schätzen. Ich verspreche Ihnen, dass ich noch einmal über das Angebot nachdenken werde."

Ich stieß einen leisen Seufzer aus und beschloss, schnell das Thema zu wechseln und zum Wesentlichen zu kommen. "Also, warum wollten Sie mich heute sehen?"

Er faltete seine Hände und sah mich mit funkelnden dunklen Augen an.

"Ich wollte mit Ihnen über eine Idee für eine Geschichte sprechen. Ich weiß, dass ich mich normalerweise nicht in das einmische, worüber Sie schreiben, aber ich glaube wirklich, dass diese Idee gut sein wird."

Ich schenkte ihm mein volles Interesse, denn ich spürte, dass sich ein kleiner Teil in mir nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder für etwas begeistern konnte.

"Nun ... ich möchte, dass Sie eine Geschichte oder einen Artikel über etwas schreiben, das mit unserer Kultur zu tun hat. Vielleicht mit einem alten Mythos oder eine Sage."

Er hielt inne und schien zu überlegen, dann sah ich, wie sein Gesicht aufleuchtete. "Was ist mit Al Nadaha?"

"Al Nadaha?" Ich hob die Augenbrauen.

"Ja, dieser alte Mythos über die schöne Frau, die am Ufer des Nils auf unglückliche Männer wartet."

"Ja, ich weiß, wer Al Nadaha ist. Meine Großmutter hat mir immer viele Geschichten über sie erzählt. Aber das ist kein wirklich neues Thema. Ich glaube ihre Legende war schon Thema vieler berühmter Schriften."

"Ich weiß, aber das ist schon sehr lange her. Im Zeitalter der Technologie beginnen die Menschen, diese alten Geschichten zu vergessen. Sie interessieren sich nicht für die Sagen oder die alte Kultur oder sonst etwas.

"Ich glaube, wir sollten sie daran erinnern, indem wir die berühmte Geschichte von Al Nadaha wieder aufleben lassen.

"Die alten Leute würden sicher ganz nostalgisch werden, wenn sie von ihr lesen, und die neue Generation hätte die Gelegenheit, die Geschichte kennenzulernen, die ihre Vorfahren in Angst und Schrecken versetzte."

Er lächelte, offenbar sehr zufrieden mit seiner Idee. "Ich weiß noch genau, wie meine Mutter mir immer von ihr erzählt hat und ich jedes Mal innerlich gestorben bin, wenn ich in die Nähe des Flusses kam."

Ich begann langsam zu glauben, dass dies tatsächlich keine schlechte Idee war. "Ich denke, das lässt sich machen."

"Sie können auch versuchen, sie mit der heutigen Welt zu verschmelzen. Wie auch immer, ich werde Ihnen nicht sagen, was Sie tun sollen, Layla. Ich bin sicher, es wird großartig." Er grinste.

Zu meiner Überraschung schlich sich ein echtes Lächeln auf meine Lippen. Das Schreiben hatte schon immer eine ganz eigene Art, mir ein besseres Gefühl zu geben, und ich freute mich schon darauf, in die Geheimnisse von Al Nadaha einzutauchen.

***

Fluchend drückte ich erneut auf die Hupe meines Autos.

Ich war gerade auf dem Weg nach Hause, nachdem ich mein Treffen mit Kamal Fahmy, dem Chefredakteur des Magazins, für das ich als Teilzeitautorin arbeitete, beendet hatte. Und jetzt steckte ich in einem nicht enden wollenden Stau fest.

Leider drehten sich meine Gedanken immer noch um eine bestimmte Person. Wenn ich nur an ihn dachte, drehte sich mir der Magen um und mir wurde schlecht.

Ihn zu hassen war wie eine Schlange, die ihren eigenen Schwanz frisst. Es war sinnlos, aber ich konnte mich nicht dagegen wehren.

Viele Leute sagten mir, dass dieses Gefühl mit der Zeit vergehen würde. Dass ich alles über ihn und wie er mir das Herz gebrochen hat, vergessen würde, wenn ich den richtigen Menschen gefunden hätte. Aber das war tatsächlich leichter gesagt als getan.

Er war ein verachtenswerter Bastard, und mein Hass auf ihn und die hinterhältige Schlange, mit der er mich betrogen hatte, war unendlich.

Die Narbe an meinem Herzen blutete weiter, und es gab keine Anzeichen dafür, dass sie in absehbarer Zeit heilen würde.

Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und betrachtete mich im Rückspiegel. Riesige, dunkle Augenringe, die ich nicht einmal mit Make-up zu verbergen versuchte, ließen meine hellbraunen Augen zehn Nuancen dunkler erscheinen.

Mein schulterlanges braunes Haar war ungekämmt und das sah man ihm leider auch an.

Warum hatte ich mir das nur angetan?

Bevor meine Gedanken in die Dunkelheit abdriften konnten, lichtete sich der Verkehr vor mir endlich. Erleichtert atmete ich auf und machte mich, so schnell es ging, auf den Weg nach Hause.

Zwanzig Minuten später erreichte ich endlich die Wohnung.

Meine Mutter saß auf der Couch und war vollkommen auf den Fernseher konzentriert. Natürlich lief ihre Lieblings-Seifenoper, die sie sich immer wieder gerne ansah.

Ich ging auf Zehenspitzen hinüber und drückte ihr plötzlich einen Kuss auf die Wange.

Sie zuckte zusammen und murmelte ein paar Worte, die ich nicht verstehen konnte. Ich lachte über ihre Reaktion.

Sie lächelte sanft, als sie mich ansah, wobei ihre Grübchen zum Vorschein kamen, und ihre haselnussbraunen Augen leuchteten. "Ich bin so froh, dass du endlich aus deinem Zimmer herausgekommen bist und zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit die Sonne gesehen hast."

Ich rümpfte meine Nase. "Ach komm schon, Lubna. Glaubst du wirklich, dass dies ein guter Zeitpunkt für einen Vortrag ist?"

Sie seufzte und strich sich eine Strähne ihres kurzen, dunkelbraunen Haars hinters Ohr. "Ich mache mir eben Sorgen um dich, Schatz. Ich weiß, dass du Zeit brauchst, um weiterzumachen, aber du kannst doch nicht wegen dieses Idioten aufhören, dein Leben zu leben."

"Ich weiß, Mama, und mach dir keine Sorgen um mich, ich werde nach diesem Wochenende wieder zur Arbeit gehen", versuchte ich, sie zu beruhigen.

" Kamal Fahmy hat mir übrigens wieder eine Vollzeitstelle bei der Zeitschrift angeboten. Ich ziehe es wirklich in Erwägung."

Das sollte sarkastisch klingen, obwohl ich tief im Inneren wirklich darüber nachdachte, sein Angebot anzunehmen.

"Darüber haben wir doch schon gesprochen, Layla. Du arbeitest in einem der renommiertesten Pharma- und Gesundheitsunternehmen des Landes. Und du hast schon bald deinen Master-Abschluss in der Tasche."

Okay, offensichtlich war der Sarkasmus an ihr vorübergegangen. Vielleicht war ich ja doch nicht so überzeugend.

"Außerdem machst du bereits Fortschritte bei der Entwicklung dieses bahnbrechenden Medikaments, das Krebspatienten helfen wird. Willst du das alles wirklich wegen Karim den Bach runtergehen lassen?"

Sie hob frustriert ihre Hände.

"Nein, Mama, ich werde nichts davon aufgeben. Ich weiß, wie viel dir das bedeutet und wie viel es auch Papa bedeutet hat."

Ich war einen Blick auf sein gerahmtes Bild auf dem Tisch. Wie sehr wünschte ich mir, er wäre hier, damit ich mein Gesicht in seinen Schultern vergraben könnte und wüsste, dass nichts und niemand mir jemals etwas antun könnte, wenn er in der Nähe ist.

"Und bedeutet es dir auch etwas?", fragte meine Mutter und verengte ihre Augen auf mich.

"Natürlich tut es das, es ist nur ..." Ich hielt inne und wusste nicht, was ich sagen sollte. "Ich weiß nicht, ob ich es ertragen kann, sein Gesicht noch einmal zu sehen, ohne es zu zertrümmern. Willst du deine Tochter etwa im Gefängnis sehen?",

scherzte ich und versuchte, die Stimmung aufzulockern. Ich wollte nicht, dass sie noch eine weitere Last von mir tragen musste.

"Layla, das ist nicht das Ende der Welt, meine Liebe. So ist das Leben nun einmal. Und nur weil dir diesbezüglich etwas Schlechtes passiert ist, heißt das noch lange nicht, dass alle Männer schlecht sind."

Sie blickte nun ebenfalls auf das Bild meines Vaters und lächelte. "Dein Vater ist der offensichtlichste Beweis. Er war ein großartiger Mann und Ehemann."

"Mach dir keine Sorgen, Mama. Ich werde sicher nicht plötzlich damit anfangen die gesamte männliche Bevölkerung zu hassen oder zu verachten. Ich bin nur wütend und brauche Zeit, um zu heilen", sagte ich und legte meine Hand auf ihre, um sie zu beruhigen.

Dann beschloss ich, das Thema zu wechseln. "Oh, weißt du was? Kamal Fahmy hat mich gebeten, über Al Nadaha zu schreiben."

"Wirklich?" Sie runzelte die Stirn. "Diese Frau war damals der ultimative Albtraum für uns."

Ich kicherte. "Warum hattest du denn Angst vor ihr? Ich dachte, sie ruft nur nach Männern."

"Trotzdem! Immer wenn ich an sie dachte, lief es mir kalt den Rücken hinunter", gab sie zu und ihr Gesicht erhellte sich. "Weißt du, wer viel über Al Nadaha weiß?"

"Ja." Ich lächelte. "Ich vermisse sie wirklich."

"Es ist schon eine ganze Weile her, dass wir sie das letzte Mal besucht haben. Außerdem ist die Atmosphäre auf dem Lande sehr beruhigend. Ich glaube, das wird uns beiden guttun."

Ich fand die Idee ziemlich verlockend und nickte lächelnd. Ich vermisste meine Großmutter wirklich. Außerdem war sie wahrscheinlich die einzige lebende Person, die mir helfen konnte, mehr über Al Nadaha zu erfahren.

Und na ja, eine Luftveränderung war sicherlich auch keine schlechte Idee ...

Nächstes Kapitel
Bewertet mit 4.4 von 5 im App Store
82.5K Ratings
Galatea logo

Unbegrenzte Anzahl von Büchern, eindringliche Erlebnisse.

Galatea auf FacebookGalatea InstagramGalatea TikTok