Teufel vs Alpha - Buchumschlag

Teufel vs Alpha

Sapir Englard

Gejagt

30. Oktober 2017

Lumen

EVE

Die Werwolfwache war direkt hinter mir. Ich weiß, dass ich schnell bin.

Meine besondere genetische Zusammensetzung und die Magie, die ich mir im Laufe der Jahrhunderte auf dieser Erde angeeignet hatte, machten mich zu einer der Schnellsten auf der Welt.

Aber ein Werwolf in Wolfsform war eine echte Herausforderung. Und dieser im Speziellen war fitter als der durchschnittliche Wolf.

Ich hatte sein Abzeichen gesehen. Er war Teil des persönlichen Sicherheitsteams des Alphas des Westküstenrudels.

Es ergab keinen Sinn. Warum kümmerte sich das Sicherheitsteam des Alphas um die Außengrenzen? Normalerweise hielten sich die besten Sicherheitsleute im Rudelhaus auf, nicht mitten im Wald.

Die einzige Erklärung war: Das Rudel hatte mit jemandem gerechnet. Entweder mit jemandem, der sehr wichtig oder sehr gefährlich war.

Und Gabriel, der Alpha des Westküstenrudels, hatte eine seiner Wachen beauftragt, denjenigen in Empfang zu nehmen.

Ich hörte ein Knurren. Er war direkt hinter mir.

Eine Klaue griff nach mir, berührte meine Schulter. Scharfe Krallen drangen durch meine Lederjacke.

Ich zwang mich, schneller zu laufen denn je zuvor, ein Fuß vor den anderen zu setzen, bis sich meine Beine so schnell bewegten, dass sie nur noch verschwommen wahrzunehmen waren.

Ich sah auf und stellte fest, dass wir mitten in Lumen angekommen waren. Wir mussten einfach durch das Stadttor geprescht sein.

Ich sah über meine Schulter. Die Wache lag nun weiter zurück, war offensichtlich erschöpft.

Das waren gute Neuigkeiten.

Und die schlechten Neuigkeiten? Er hatte nun vier weitere Wölfe an seiner Seite.

Ich schaute nicht lange genug, um zu sehen, ob auch sie Abzeichen des Alphasicherheitsteams trugen. Aber das war auch egal. Ich konnte nicht länger vor ihnen weglaufen, ich musste eine bessere Lösung finden.

Ich bog um eine Ecke und lief eine Gasse hinunter. Das Kopfsteinpflaster erschwerte es mir, die Geschwindigkeit aufrechtzuerhalten, aber plötzlich sah ich etwas.

Einen Kanaldeckel.

Ich dachte nicht lange nach, schob ihn auf und sprang hinein. Ich fiel mehrere Meter in die völlige Finsternis. Ich landete mit einem dumpfen Schlag auf meinen Füßen.

Ich konnte es sofort riechen.

Meine Stiefel versanken in dickem Schlamm und Abwasser und ich dankte meinem Schicksal, dass ich auf den Beinen gelandet war. Die Vorstellung, hier auf Händen und Knien zu landen, jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Ich habe kein Problem damit zu rennen und ich habe kein Problem damit zu kämpfen. Aber bei Abwasser und Kanalisation ziehe ich die Grenze.

Ich folgte dem Tunnel in Richtung Norden. Ich hatte nicht vor, abzuwarten, ob die Werwolfpatrouille herausfinden würde, wohin ich verschwunden war. Mit geschlossenen Augen versuchte ich mich an den Stadtplan zu erinnern.

Killian hatte eine Weile gebraucht, aber er hatte die Adresse, die ich suchte, ausfindig gemacht. Die Adresse des Hauses, in das die Morgans vor kurzem umgezogen waren. Es lag in einer Gegend, die Woodsmoke hieß.

***

Eine Stunde später kletterte ich in Woodsmoke aus einem Kanaldeckel an die Oberfläche. Die Sonne würde bald untergehen und die Straßen waren ruhig. Es war eine wohlhabende Gegend, voll von Designerläden und gutgekleideten Familien.

Großartig. Mit meiner Lederjacke und den Armeestiefeln falle ich also gar nicht auf.

Ich ging los und schloss wieder die Augen, um mich an die Lage der Gegend zu erinnern, in die Killian mich geschickt hatte.

Ich sah das Straßennetz vor mir und ich wusste, ich musste zur Jayden Street 49. Eine rote Linie erschien auf dem Netz und zeigte mir den schnellsten Weg.

Ich öffnete die Augen wieder und ging los. Den Rest der Strecke hielt ich die Augen offen. Nur weil ich den Werwolfwachen am Stadttor entkommen war, würden sie nicht aufhören, nach mir zu suchen.

Sie wussten, ich war kein Werwolf. Sie konnten mich wittern.

Am Geruch alleine konnten sie nicht feststellen, was ich war. Das konnte niemand.

Aber sie würden herausfinden, dass ich nicht eine von ihnen war und das bedeutete, ich war eine Bedrohung. Also musste ich die Augen offenhalten und mich so wenig wie möglich auf den Straßen sehen lassen.

Kurze Zeit später kam ich in der Jayden Street 49 an. Das Haus war groß, hatte weiße Säulen vor dem Eingang und einen frisch gemähten Rasen.

Ich wusste, dass Gabriel die Familie hier untergebracht hatte, dass sie zu einer Abmachung über ihr zukünftiges Wohnrecht gekommen waren.

Schließlich waren Menschen in Lumen sonst nicht erlaubt. Aber die Morgans waren keine normalen Menschen. Bevor das Westküstenrudel hier sein Revier errichtet hatte, gehörte das Land den Morgans.

Die Geschichte ihrer Blutlinie war von Reichtum und Macht durchzogen. Hätten die Morgens kein Abkommen mit dem Rudel getroffen, das ihnen erlaubte, sich hier anzusiedeln und das auch noch zu unterstützen, das Rudel wäre nie so wohlhabend geworden.

Das hatte das Westküstenrudel nicht vergessen. Auch nach dem Tod von Elena würden sie sich um die Morgans kümmern – in der Hoffnung, dass die Töchter, wenn sie das Erbe angetreten hatten, das Rudel weiter unterstützten.

Ich stieg die Stufen hinauf und klopfte an der neuen Eingangstüre der Morgans. Ich wartete einige Minuten … nichts.

Ich hatte heute zu viel durchgemacht, um geduldig zu sein. Ich klopfte noch einmal. Lauter.

Dann flog die Türe auf und eine etwa fünfzehnjährige Teenagerin stand vor mir und starrte mich an. Sie war wunderschön, so viel war klar. Mit ihren hellblonden Haaren und großen, blauen Augen sah sie aus wie eine lebensgroße Barbiepuppe.

„Äh, hallo?“, fragte sie und rümpfte die Nase.

Ich wollte gerade etwas zu ihrer Reaktion auf eine Frau in Lederklamotten sagen, als ich eine Brise spürte und meinen Geruch wahrnahm. Dann erinnerte ich mich, dass ich einige Zeit in der Kanalisation verbracht hatte.

Die gerümpfte Nase hatte nichts mit dem Leder zu tun.

„Ist dein Dad zuhause?“, fragte ich.

„DAD!“, rief sie hinter sich ins Haus. Einige Sekunde später erschien Martin Morgan im Eingang.

„Hallo? Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er und kniff die Augen zusammen.

„Nein, Martin. Aber ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Ihre Familie ist in Gefahr.“

Ich sah, dass er verwirrt war, aber er tätschelte seiner Tochter nur die Schulter. „Geh auf dein Zimmer, Anya“, sagte er zu ihr.

„Aber wovon redet sie da?“, fragte sie weiter und sah mich direkt an.

„Los“, sagte er, diesmal bestimmter. Sie verdrehte die Augen, gehorchte aber und ging.

Ich fing an zu reden. „Ich bin hier, um Ihre Familie zu beschützen. Damit ich das machen kann, brauche ich ein paar Dinge von Ihnen –“

„Einen Moment mal“, unterbrach er mich. „Wie war der Name noch gleich?“

„Eve“, sagte ich und hielt ihm meine Hand entgegen. Er starrte sie nur an.

„Sie sind Eve.“

„Stimmt.“

„Ich kenne keine Eve.“

„Wir sind uns noch nie begegnet, Martin.“

„Sie sind kein Werwolf“, sagte er und sah mir dabei in die Augen.

„Gabriel hat dem Rudel befohlen, uns in Ruhe zu lassen. Aber Sie, Sie wissen wer wir sind. Sie kennen meinen Namen. Und Sie lassen uns nicht in Ruhe. Kein Wolf widersetzt sich auf diese Art dem Alpha.“

„Sie haben recht. Ich bin kein Werwolf.“

„Dann sollten Sie nicht hier sein. Lumen ist eine Wolfsstadt.“

„Ich bin hier, um Ihre Familie zu beschützen“, wiederholte ich. Mir ging die Geduld aus. „Darf ich reinkommen?“

„Was? Nein –“ Aber es war zu spät. Bevor er sich versah, war ich an ihm vorbei und hatte die Tür geschlossen.

Er drehte sich zu mir um und schäumte vor Wut. „Ich werde es nicht erlauben, dass eine … eine fremde Frau sich Zugang zu meinem Haus verschafft und meine Familie in Schwierigkeiten bringt! Und woher kommt dieser … ~Gestank?~“

„Martin“, sagte ich ruhig und ignorierte seine Frage. „Ich weiß von Ihrer Familie. Ich weiß, was Sie durchgemacht haben. Ich verstehe, warum Sie zögern, mir zu trauen. Aber Ihre Familie steckt bereits in Schwierigkeiten. Ihre Töchter werden gejagt.“

„Ich glaube Ihnen kein Wort. Verlassen Sie auf der Stelle mein Haus –“

Das war genug. Ich hatte keine Zeit für so etwas.

Ich blendete ihn aus und öffnete meinen Geist, löste den Zugang zu einem telepathischen Kanal, damit ich seine Gedanken einlassen konnte.

Da er ein Mensch war, gestaltete sich die Sache eher einfach, es dauerte nur ein paar Sekunden und ich konnte seine Gedanken lesen.

Das ist ein Trick. Die Mafia hat sie geschickt. Sie will das Haus infiltrieren, und was, mich verführen? Sie sieht wie eine Verführerin aus. Schau dir das Leder an. Sei stark. Schmeiß sie raus, JETZT! Beschütze die Mädchen.

Ich sah zu ihm auf und sah an seiner Reaktion, dass mein Blick kein freundlicher gewesen sein konnte. Der arme Mann hatte panische Angst.

„Also wirklich, Martin, Sie halten mich für eine Art Prostituierte?“

„Wie bitte?“

„Halten Sie wirklich so wenig von mir? Meinen Sie, ich lasse mich von der Mafia kontrollieren?“

„Woher wissen Sie, dass ich das gedacht habe?“

„Die Mafia ist das geringste unserer Probleme. Wissen Sie von abtrünnigen Wölfen? Vampiren?“, fragte ich.

„Wenn Sie wollen, dass Ihre Töchter ihr achtzehntes Lebensjahr erreichen und ihr Erbe antreten, dann nehmen Sie meine Hilfe an. Ich werde hier mit Ihnen wohnen und ich werde Sie beschützen.“

Martin sank auf ein Sofa, er versuchte, all dem zu folgen, hatte aber Schwierigkeiten. „Woher wissen Sie, dass sie …?“, fragte er.

„Gejagt werden? Ich habe meine Quellen.“

„Warum? Warum beschützen Sie eine Familie, die sie überhaupt nicht kennen?“

Die Wahrheit ging mir durch den Kopf, aber ich wusste, ich hatte ihm schon zu viel zugemutet. In seinem Zustand würde er die Wahrheit nicht verkraften.

„Ich bin kein Werwolf, Martin, aber ich habe viel Macht. Und ich möchte diese Macht für einen guten Zweck nutzen. Was Ihrer Familie widerfährt, ist nicht richtig.“

„Und wenn ich Nein sage? Ihre Hilfe ablehne?“

Ich setzte mich neben ihn. Dann sah ich ihm direkt in die Augen und sah in das Herz eines Mannes, der gerade seine Frau verloren hatte, und alles dafür tun würde, seine Töchter zu beschützen.

„Ich würde es trotzdem tun“, sagte ich achselzuckend.

Nach einem kurzen Augenblick gab er nach und nickte. „Na gut“, sagte er. „In Ordnung.“

„Ich brauche ein Zimmer. Und ich muss Ihren und den Terminplan Ihrer Töchter kennen und Ihre Freunde. Haben Sie jemand neues kennengelernt, seitdem Sie hier wohnen?“

Martin schüttelte den Kopf. „Wir sind erst gestern hier angekommen. Die Mädchen sind noch dabei auszupacken.“

„Gut. Die Schule beginnt nächste Woche, liege ich richtig?“

Martin nickte. „Die Schule liegt hier gleich um die Ecke.“

„Hatten Sie schon Ihren Meldetermin im Rudelhaus?“

„Gleich morgen früh.“

„Ich werde Sie begleiten.“

„Dad?“ Wir drehten uns beide um. Am anderen Ende des Wohnzimmers stand Martins älteste Tochter, Reyna.

Ihr dunkelbraunes Haar fiel ihr über die Schultern und ihre blasse Haut schimmerte in dem nur schlecht beleuchteten Zimmer. Sie sah majestätisch aus.

Was nur passte, wenn man bedachte, dass sie geboren worden war, um als Königin das Vermögen der Morgans anzutreten.

Ich stand auf. „Hi, Reyna. Ich bin Eve“, stellte ich mich ihr vor. „Ich werde bei euch wohnen.“

Sie sah mich an und dann zu ihrem Vater. „Dad?“, fragte sie erneut.

„Wir sind in Gefahr, Liebling“, sagte er. „Eve ist hier, um uns zu beschützen.“

„Was für eine Gefahr?“

„Wir werden gejagt“, sagte plötzlich eine Stimme hinter dem Lehnsessel. Und Anyas Kopf schaute dahinter hervor.

„Du solltest auf dein Zimmer gehen!“, schimpfte Martin.

„Du solltest uns die Wahrheit sagen“, erwiderte sie.

„Morgans!“ Ich brachte sie zur Ruhe. „Ihr wollt die Wahrheit? Ja, ihr werdet gejagt. Was eure Mutter euch hinterlassen hat, ist sehr wertvoll, und gefährliche Leute sind darauf aus. Aber mit mir hier an eurer Seite seid ihr in Sicherheit.“

Reyna schnaubte. „Sie wiegen ja keine fünfzig Kilo.“

Ich seufzte. Dann fokussierte ich eine Lampe auf dem Tisch hinter ihr.

Die Lampe erhob sich langsam und schwebte einen Moment. Dann bewegte ich sie auf mich zu und ließ sie um Reyna kreisen, bis sie vor ihren Armen in der Luft stehen blieb.

Anya kreischte auf. Martin schnappte nach Luft. Aber Reynas Augen wurden nur groß.

Sie öffnete die Arme und griff nach der Lampe, gerade als ich sie in Staub verwandelte. Alle sahen dabei zu, wie der Staub auf den Teppich rieselte.

„So …“, sagte ich und sah in ihre verwunderten Gesichter. „Haben Sie verstanden?“

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